Editorial

Die arabische «Revolution» – ein Erwachen für was?

Editorial Europäer März 2012

Die Vorgänge in Nordafrika, Ägypten und Syrien oder auch die Occupy-Bewegung zu beurteilen, ist keine leichte Sache – falls die Beurteilung wirklichkeitsgemäß sein soll.

Stehen wir am Ausgang einer «neuen revolutionären Ära des globalen politischen Erwachens», wie der junge kanadische Publizist Andrew Marshall feststellt? Sind die sich jagenden Demonstrationen und Umstürze Ausdruck von einem «großen Durst nach Freiheit und Demokratie», wie unser Apropos-Kolumnist diagnostiziert? Oder handelt es sich vielmehr um eine Reihe von inszenierten und gesteuerten Scheinrevolutionen? Oder um beides zugleich?

Diejenigen, die aufgrund eines verstärkt erwachenden Willens zu sozialem, politischem und wirtschaftlichem Wandel und eines vermehrten Durstes nach «Demokratie» schon auf ähnliche Durchbrüche wie nach 1789 hoffen, könnten enttäuscht werden. Sie mögen sich fragen: Erwachen für was? Ist nicht auch ein großer Teil der 68-Vorgänge aus einem fast weltweiten Erwachen hervorgegangen? Hatte dieses Erwachen zu wirklichen politischen oder wirtschaftlichen Veränderungen geführt? Der Durst nach Selbstbestimmung und Demokratie ist seit 1789 weder neu noch für die erwünschten Veränderungen entscheidend geworden. Entscheidend ist, ob diesem politischen Erwachen neuerdings und in gewissem Sinne erstmalig ein Durst nach Erkenntnis innewohnt, der sich auch auf die verborgenen, spirituellen Dimensionen des Weltgeschehens erstreckt. Solange das nicht der Fall ist, werden die Lenker der aristokratischen anti-demokratischen Machtströmungen den Durst nach Demokratie nur soweit berücksichtigen, dass ihm regelmäßig Placebos in Form von Mitspracherecht, nationalem Parlamentarismus, «demokratischen» Wahlen etc. entgegengebracht werden. «Die Macher der anglo-amerikanischen Sache sind die Träger einer Strömung, die ihre Wurzeln in den Impulsen hat, die vor der Französischen Revolution liegen und in der Realisierung einer Welt-Herrschaft mit Kapitalistenmitteln bestehe, die sich nur der Revolutions-Impulse als Phrase bedient, um sich dahinter zu verstecken», so Rudolf Steiner im Kerntext «Kampf um den russischen Kulturkeim»*

Steiner spricht von einer «okkulten Gruppe», die, um ihre Macht zu erhöhen, unter Anderem materialistisch gesinnte Verstorbene in ihre Rituale einflicht. Die Macht solcher Gruppen kann nicht anders gebrochen werden als durch Erkenntnis der spirituellen Hintergründe ihrer Machenschaften. In einer Post-mortem-Mitteilung Helmuth von Moltkes heißt es: «Es handelt sich darum, dass die Menschheit immer mehr darauf vorbereitet wird, zu glauben, dass es auf dem physischen Plan allein kein Glück geben kann, wonach doch die Menschen suchen. Sie werden aufhören müssen, dieses Glück zu suchen und erkennen müssen, dass in alles, was der Mensch auf der Erde erlebt, hineinfließen muss, was aus der geistigen Welt kommt. Erst das irdische Erlebnis mit dem geistigen zusammen macht dasjenige aus, was auf Erden für den Menschen wünschenswert sein soll.»**

Der Durst nach Demokratie bleibt ohnmächtig, solange er nicht in einen solchen nach Erkenntnis der spirituellen Seite der Dinge und Tatsachen übergeht.

Thomas Meyer

 

* Der Europäer, Jg. 5, Nr. 3, März 1999, wiederabgedruckt in «Brückenbauer müssen die Menschen werden», Basel 2004, S. 110.
** Mitteilung vom 22. Juni 1918, Helmuth von Moltke – Dokumente zu seinem Leben und Wirken, Basel, 2. Aufl. 2008, S. 185.