Editorial, News

Die süße Freimaurerei – eine «Würdigung» in der Weltwoche

Die moderne Freimaurerei feierte am 24. Juni ihren dreihundertsten Geburtstag – und mit ihr die Schweizer Wochenschrift Die Weltwoche.*

Anlass: der Gründungstag im Jahre 1717 der ersten Großloge in London (siehe Juni-Editorial). Das Titelblatt mit dem Hefttitel «Die Freimaurer», umrahmt von prominenten Köpfen, zeigt Zirkel und Winkel und verspricht «eine längst verdiente Würdigung».

Der Artikel «Humanität, Toleranz, Freiheit» des Chefredakteurs Köppel trieft vor Wohlwollen, Lob und Schlagworten. Zu den zum Teil durchaus bedeutenden Freimaurern zählen bekanntlich Menschen wie Mozart, Haydn, Goethe oder Schiller; aber auch Staatsmänner wie Winston Churchill. Alle aufgezählten Persönlichkeiten werden wahllos mit dem Schimmer des Wahren und Guten überzogen. Ja, wir erfahren sogar, dass wir der Freimaurerei exquisite Schokolade verdanken, denn Suchard und Tobler waren Freimaurer. O süße Naivität!

Die Weltwoche bringt ein Innenbild der Loge «Zum Neuen Venedig». Diese liegt unmittelbar gegenüber dem Jesuiten-Wohnheim «Borromäum» am Basler Byfangweg. Der Jesuit Abbé Joye richtete hier vor über 100 Jahren eine Jugendseelsorge ein, die zielbewusst das neue Medium Film einsetzte. Wer glaubt, Logentum und jesuitische Bestrebungen seien absolute Gegensätze, irrt.

Steiner und Heise diffamiert

Schon Rudolf Steiner machte darauf aufmerksam, dass die Freimaurerei eine ursprünglich gute und notwendige Sache sei, dass sie aber «eben eine schlechte wird, wenn sie zur Machtgrundlage einzelner Menschengruppen gemacht wird». Dies stellte er im Vorwort fest, das er zu einem Werk beisteuerte, welches eben diese «Verschlechterung» der Freimaurerei zur Zeit des Ersten Weltkriegs zum Gegenstand hat. Es handelt sich um Die Entente-Freimaurerei und der Weltkrieg des Publizisten Karl Heise (1872–1939)**.

Mittlerweile war die von England aus begründete Kontinental-Freimauerei mehr und mehr in das Schlepptau politischer und nationaler Interessen geraten. Am deutlichsten geschah dies mit dem «Grand Orient de France», der seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auch Atheisten aufnahm.

Heise verstarb vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs; er hat den Nationalsozialismus in seinem Werden nicht immer klar beurteilt. Dass seine Analysen im Völkischen Beobachter positiv rezensiert und von führenden Nationalsozialisten wie Himmler geschätzt wurden, ist nicht ihm anzulasten, noch weniger Steiner.

Die Weltwoche aber scheut sich nicht (im Beitrag von Ch. Mörgeli) Heise generell zu verleumden und Steiner gleich dazu – zwei Fliegen auf einen Schlag, der natürlich nicht ohne das Schlagwort «verschwörungstheoretisch» auskommt: «Für Furore sorgte 1919 das esoterische verschwörungstheoretische Werk Die Entente-Freimaurerei und der Weltkrieg des nachmaligen National-Sozialisten Karl Heise. Der Anthroposoph Rudolf Steiner hatte dazu ein Vorwort geliefert und sich an der Finanzierung beteiligt.» So einfach lässt sich Heises Werk diffamieren und zugleich Anthroposophie in die Nähe des Nationalsozialismus rücken!

Niemand hat wie Steiner den hohen Ursprung der Maurerei erkannt und dargestellt, niemand wie er das Abkommen von diesem Ursprung kompromisslos diagnostiziert.***

Die oberflächliche Lobhudelei der Weltwoche-Darstellung gibt Steiners Diagnose auch heute noch recht. Darüber kann die süße, phrasenhafte Tünche nur Naivlinge hinwegtäuschen – und die können sogar als Freimaurer oder Freimaurer in spe in Chefredaktionsstuben sitzen und ihr Getünch für «Humanität, Toleranz und Freiheit» halten. Doch man kann dem Chefredakteur und seinem Team auch dankbar sein: man weiß nun aus berufenem Munde, welche Eide in der heutigen Eidgenossenschaft Hochkonjunktur haben. Eide auf Wahrhaftigkeit sind das sicher nicht.

Die längst verdiente Würdigung des Freimaurer-Kenners Steiner steht nach wie vor aus.

Thomas Meyer

Im Berner Historischen Museum ist bis zum 3. September eine Ausstellung zu sehen, bei der auch ein Freimaurer-Ritual gezeigt wird.

 

* Die Weltwoche, Nr. 23, 7. Juni 2017.
** 
Das Werk erschien 1919 in Basel. Steiner zahlte 3000 Franken an die Druckkosten. Das Buch trug den sachgemäßen Untertitel «Ein Beitrag zur Historie des Weltkrieges und zum Verständnis der wahren Freimaurerei». Heise hörte Steiners Zeitgeschichtliche Betrachtungen, die ihn zu seinem Buch inspirierten. Es gab mehrere Nachdrucke, das Werk ist heute online zu finden.

*** Siehe GA 265 und Der neue Kain. Die Tempellegende und ihre Vollendung durch Rudolf Steiner, hg. von Thomas Meyer, Perseus, 2013.