Editorial, News

Eine moderne Köpenickiade demaskiert die deutsche Regierung

Friedrich Wilhelm Voigt war ein aus Ostpreußen stammender Schuhmacher. Er wurde durch seine spektakuläre Besetzung des Rathauses der Stadt Köpenick bei Berlin als Hauptmann von Köpenick bekannt, in das er am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten eindrang, den Bürgermeister verhaftete, die Stadtkasse raubte und sich einen Pass verschaffte. (Da Voigt arbeits- und wohnungslos war, blieb ihm auch ein Pass vorenthalten.)
Dieses Ereignis, das auf großes öffentliches Interesse stieß und als die Köpenickiade in die deutsche Sprache einging, wurde häufig künstlerisch verarbeitet. Besonders bekannt ist Carl Zuckmayers Theaterstück Der Hauptmann von Köpenick.
Ich hatte immer darauf gehofft, dass sich etwas Ähnliches endlich wieder einmal abspielen würde. Und siehe da: Am 20. September berichtete die BZ unter dem Titel «Ralph T. Niemeyer, Ex-Gatte von Sahra Wagenknecht, gebärdet sich als Chef einer deutschen Exilregierung»
Niemeyer zog zwar nicht ins Rathaus von Köpenick ein; er zog im Flugzeug nach Russland und rief in der Luft eine deutsche Exilregierung aus, bevor er, auf Bewilligung Putins, Außenminister Lawrow und später den Gazprom-Chef Miller traf. Das russische Außenministerium habe seine Regierung de facto anerkannt. Der Gazprom-Chef habe ihm angeboten, Deutschland durch die Pipeline Nordstream 2 wieder mit Gas zu versorgen.
Am 4. September war genau dies in einer großen Demo bei Greifswald von Tausenden öffentlich gefordert worden, während die offizielle deutsche Regierung sich alle Pläne für Nordstream 1 und 2 von den USA sabotieren ließ.1
Der in Deutschland verbotene Nachrichten-Sender RT sprach zu Recht vom Selbstmord der deutschen Regierung, und lud Niemeyer auch zu CrossTalk ein.
Lawrow und Miller sehen in Niemeyer, dem neuen Hauptmann von Köpenick, jedenfalls einen weit ernsthafteren Gesprächspartner als in den offiziellen deutschen Regierungsvertretern.

Diese ignorieren nach wie vor borniert, was Rudolf Steiner gegenüber Ludwig Polzer-Hoditz schon 1917 geltend gemacht hatte: «Die Wirtschafts-Konkurrenz zwischen Mitteleuropa und dem Westen kann nicht ausgeschaltet werden.» Genau das hat man seit 100 Jahren mit allen Mitteln angestrebt und mit Hilfe der rückgratlosen deutschen Politik heute erreicht.
Niemeyers mit Witz und Scharfsinn durchgeführte Köpenickiade lässt die einfältigen Vasallenbeteuerungen und -aktionen der deutschen Regierung umso deutlicher als die eigentliche Farce der deutschen Gegenwart erscheinen.
Ironie der Geschichte: Niemeyer brach exakt im 100. Todesjahr von Voigt, dem historischen Hauptmann von Köpenick (1849–1922), zu seiner Reise auf. Möge das Gelächter nicht ihn und seine Exil-Regierung treffen, sondern in erster Linie die offizielle Regierung selbst, die nach Wagenknecht «die dümmste in Europa» ist.

Thomas Meyer

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1 Dies schon vor dem Einmarsch in die Ukraine. Siehe https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-dem-praesidenten-der-vereinigten-staaten-von-amerika-biden-am-7-februar-2022-in-washington-2003648