Editorial

Das «Neue Kaliphat» – längst geplant

Den Europäern mangelt die Fähigkeit, langfristige Perspektiven für die Entwicklung Europas und der Welt zu erfassen. Nicht so den entscheidenden politischen Kreisen im Westen (oder auch innerhalb der Kurie).

Wir haben in dieser Zeitschrift immer wieder auf die Weltkarte aufmerksam gemacht, die im September 1990 im Wirtschaftsmagazin The Economist erschienen war.

Diese Karte war von einem Artikel begleitet, der eine Art Zukunftsprogramm für die Gestaltung der Welt im 21. Jahrhundert entwarf. Auf ihr gibt es kein einheitliches Europa mehr. Europa wird in einen West- und einen Ostteil zerrissen; der eine steht in der Einflusssphäre des aufgeklärten Protestantismus/Katholizismus, der andere in der der orthodoxen Strömung. Daneben gibt es imaginäre Kontinente, die ebenfalls nach «religiösen» Gesichtspunkten benannt wurden: Hinduland, Confuciania und Islamistan. Zehn Jahre später erfolgten die Anschläge vom 11. September 2001, welche islamistischen Tätern in die Schuhe geschoben wurden. Nun konnte das Projekt Islamistan in die Tat umgesetzt werden. Der Kampf gegen den «islamistischen Terror» diente als Vorwand für die Zerstörung von Afghanistan, Irak, Libyen und so fort. Jetzt ist Syrien an der Reihe, andererseits Russland bedroht, weil man ihm das Herzstück Ukraine zu entreißen sucht.

In beides spielt ein scheinbar neues Phänomen hinein: das neue Kaliphat. Scheinbar neu, denn auch dieses wurde im Economist kurz nach der Veröffentlichung obiger Karte «vorausgesehen». Ein gutes Jahr nach der besprochenen Karte erschien zum Jahreswechsel 1992/93 ein geistreicher «Phantasie»-Artikel, mit dem Titel «Rückschau aus dem Jahre 2992» – also nach 1000 Jahren. Er gab sich als Auszug aus einem in diesem Zukunftsjahr erschienenen Buch über Weltgeschichte und trug den Untertitel: «Eine Weltgeschichte, Kap. 13: Das katastrophale 21. Jahrhundert».* Nach der weitgehenden Realisierung von «Islamistan» besteht aller Grund, auch diesen Artikel näher zu betrachten. Er schildert u.a. die Entstehung eines Neuen Kaliphats, «deren treibender Faktor nicht die Religion war, obwohl diese der Bewegung das Identitätsgefühl verlieh; es war vielmehr ein Hypernationalismus (…) Das erste Opfer war die Türkei (…) Die Kräfte des Neuen Kaliphats fegten den Bosporus hinauf und errichteten im Krieg von Sanjak (2016) den ersten Brückenkopf im süd-östlichen Europa.
Doch das Hauptziel war der zerfallende Leichnam von Russland (…) Hier fand das neue Kaliphat die Basis für seine Verbindung mit China.»

Am Schluss des Auszugs aus der fiktiven Weltgeschichte wird geschildert, wie sowohl das Kaliphat wie auch China ihre Weltrolle längst wieder abgegeben haben. Die beiden Schlusssätze lauten: «Die Bedingungen für eine Pax Democratica» – natürlich unter US-Regie – «sind endlich eingetreten. Wenn nur das Volk von 1992 schon eingesehen hätte, was seine fernen Nachkommen zustande brachten.»
Im Klartext: Angestrebt wird eine anglo-amerikanische Weltregierung, die sich gegenwärtig des Islams als Mittel bedient, ganze Länder zu destabilisieren und zu chaotisieren. Nun soll nach den oben genannten Ländern das «vereinigte» Europa chaotisiert werden.**

Dies ist der wahre Hintergrund der vorwiegend aus islamischen Ländern strömenden Migrationswelle. Das Neue Kaliphat soll einen Keil zwischen ein chaotisiertes Europa und ein chaotisiertes Russland treiben.

Hinter den westlichen «Fiktionen» steht eine reale Langzeitplanung; hinter der maßgeblichen Politik der Europäer ein Haufen naiver Illusionen.

Thomas Meyer

*     The Economist, Dec. 26th 1992 – January 8th 1993.
**     Nichts steht den im Gewand von fiktiven Karten und Buchauszügen in Erscheinung tretenden anglo-amerikanischen Weltmachtplänen mehr im Wege als ein wirklich geeintes Europa. Denn dieses könnte auch mit Russland lebensfähige Verbindung herstellen, was zu verhindern das erklärte Ziel der US-Außenpolitik der letzten hundert Jahre ist.