Europäer Dezember/Januar 2019/20 (Jg 24 / Nr. 2/3)

11.12.2019

Editorial: 5G, Tao und die moderne Geisteswissenschaft

Freies Geistesleben – oder Denkverbot
Thomas Meyer

Die Sixtinische Madonna
Ricarda Meyer

Tod und Geburt als Weihnachtsereignis
Mario Betti

«Sie hörten mich wohl, 20 verstehen konnten sie mich nicht»
(R. Steiner)
Alexander Caspar

VON PEKING AUS GESEHEN
Christus in falscher Gestalt
Martin Barkhoff

Herman Melville
zu seinem 200. Geburtstag
Gerald Brei

Israel und Palästina
Martin Meyer

Faust
Monica von Miltitz

Novalis
Hans Börnsen

Von der Schönheit
Reto Andrea Savoldelli

BUCHBESPRECHUNG

LESERBRIEFE

Impressum

 

Heft als PDF kaufen ist zur Zeit technisch leider nicht möglich

 


Kategorie: Europäer-Archiv

The Present Age Volume 5 / No. 6 September 2019

11.12.2019

Contents

Editorial
Impressions from a trip to the North

“Fioritura” – Florescence
Martin Meyer

Saharabbi or the Beginning and End of Kali Yuga
A spiritual journey by Countess Johanna von Keyserlingk under the direction of Rudolf Steiner

The Emergence and the Meaning of Kali Yuga
An aphoristic commentary by T.H. Meyer

Samuel Beckett on “The Philosophy of Freedom”
T.H. Meyer

The Loosening of the Etheric Heart since 1721
Harald Herrmann

THREEFOLDING: 100 YEARS
Karl Heyer: Esoteric Foundations and Aspects of Social Threefolding
Indications by Rudolf Steiner

September Calendar

The Solari Report, Copenhagen
T.H. Meyer and Niels Harrit
28 March, 2019

Are There Any Swiss Left in Switzerland?
Aphoristic Thoughts for the National Day
T.H. Meyer

Encounters
During My Anthroposophical Studies
Olaf Koob M.D.

Imprint

 

Unfortunately pdf download is not possible at the moment.

Price: 14 CHF


Kategorie: TPA archives, TPA current

5G, Tao und die moderne Geisteswissenschaft

11.12.2019

Impressionen von einer Vortragsreise nach China

Wie schon vor einem Jahr gab es auch diesen Herbst eine Gelegenheit zu einem zweiwöchigen Chinabesuch. Die erste Station war diesmal Shenzhen. Diese Stadt, etwa 100 km südlich von Honkong gelegen, ist heute die viertgrößte Stadt Chinas. Entstanden ist sie allerdings erst vor 38 Jahren! Es war in der ersten Nach-Mao-Zeit. Shenzhen entwickelte sich zu einer Metropole der hypermodernen Technologien. Hier wurde die unheilvolle 5G-Technologie erstmals entwickelt, durch den Techno-Giganten Huawai und nicht in den USA, wie man erwarten könnte.
Man befindet sich hier gewissermaßen auf der Speerspitze modernster Inven-
tionskraft.
Das vom Chinesen Wei Zheng arrangierte viertägige Seminar fand also in einer besonderen Stadtatmosphäre statt. Schon das Thema «Die Anthroposophie als modernste Erscheinungsform des Taoismus» stellte den denkbar größten Kontrast zu ihr dar.
Doch solche Kontraste sind essentiell: Wo der Materialismus mit seiner bornierten Super-Intellektualität am stärksten blüht, da kann nicht genug für den umfassenden Geist der Geisteswissenschaft gewirkt werden. Vier Waldorfschulen und eine Lehrerausbildungsstätte zeugen von solchem Wirken. Die etwa 30köpfige Zuhörerschaft war äußerst aufmerksam. Die Bitte, die natürlich hier erst recht verbreiteten Handys erst nach Abhalten des Unterrichts wieder einzuschalten, verfehlte ihre Wirkung nicht.
Die Darstellung führte über eine Skizze der spirituellen Weltevolution, wie sie in Steiners Geheimwissenschaft im Umriss, die mittlerweile auf Chinesisch übersetzt wurde, geschildert wurde, in die frühe atlantische Zeit.
Es war die Zeit der Ich-Geburt, in der die Geister der Form die Menschenwesen aus der Sonne herab mit dem Ich-Funken begabten. Diese Geister der Form wurden vom Atlantier als «der Große Geist» verehrt. Und der Klang TAO ertönte im Hinblick auf ihn und aus ihm heraus. Es war die Wurzelzeit am Baum des TAO-Erlebens der Menschheit.
Viel später, während der griechischen Michaelzeit, in der Plato und Aristoteles wirkten, entstand in China das tiefgründige Taoteking von Laotse. Es entsprach gewissermaßen der Blattbildung dieses Baumes ewiger, geistgetragener Entwicklung.
Ich konnte den Zuhörern ein schönes Gedicht von Bertolt Brecht vortragen lassen, welches die Entstehung des Taoteking beschreibt und zu meiner und der meisten Hörer Überraschung ins Chinesische übersetzt wurde. Ein kleiner Tribut eines mitteleuropäischen Dichters an die alte chinesische Spiritualität.
Die transdualistische Erlebnisweise des Tao pflanzte sich auch in Mitteleuropa fort. Der Stamm dieses Baumes lebte im Schaffen Goethes fort, der in seinem «Hymnus an die Natur» laut Steiner von einer «Tao-Empfindung» getragen war. Steiner forderte, dass dieser Empfindungsinhalt ins volle Bewusstsein getragen werde. Das tat er bereits in seinen Grundwerken. Die Philosophie der Freiheit geht konsequenterweise nicht von irgendwelchen Gegensätzen oder Begriffen aus, sondern von dem «Naturwesen in uns», das sich als die Fähigkeit zum Denken entpuppt.
Erscheint bei Goethe eine Arte Blüte des Taoimus, so bei Steiner die modernste Frucht desselben.
Konkrete Fragen würzten die gemeinsame Arbeit, die fortgesetzt werden wird.

Der finsteren Seite der Stadt entsprechend wurden in diesen Tagen auch aus den USA importierte Angriffe auf die Anthroposophie in China erörtert, die erneut als unwissenschaftlich eingestuft wird, wie dies auch die neuen Steiner Studies anstreben, die ab Januar 2020 erscheinen werden. Deren Hauptherausgeber Helmut Zander und Christian Clement haben allerdings nicht einmal einen klaren Begriff von dem, was wissenschaftliches Streben als solches ist, nämlich die Synthetisierung von Wahrnehmung und Begriff – gleichgültig, auf welchem Gebiete die Wahrnehmung liegt. Sie setzen willkürlich Wissenschaft mit Natur-Wissenschaft gleich und sind daher nicht dazu berufen, der Geisteswissenschaft den Wissenschaftscharakter abzusprechen. Der gleiche Geist, der in der hypermodernen 5G-Technik wirkt, sucht auch die von Steiner entwickelte Geisteswissenschaft zu diffamieren. Und dazu hat er geeignete Reineckes gefunden. Mögen wahre Anthroposophen diesen Sachverhalt durchschauen.

Ben Cherry, Begründer der chinesischen Waldorfschulen
Die nächste Station war Chengdu, in der Provinz Sichuan (Sezuan). Die Millionenstadt liegt in der Nähe Tibets, weshalb hier viele Exiltibeter anzutreffen sind.
Das wichtigste Ereignis vor dem zweitägigen Seminar über das TAO war die Begegnung mit Ben Cherry.
Der 1947 in Schottland geborene Cherry absolvierte die Eliteschule von Eton, deren Erziehungskorsett er später energisch abschütteln musste. Nach einem Studium in Cambridge befasste er sich mit vielen spirituellen Wegen, bis er der Anthroposophie begegnete, für die zu wirken sein Lebensziel wurde. Er regte 1994 in einem Teehaus in Chengdu in einem Gespräch mit den Besitzern zur Gründung einer Waldorfschule an. 2004 wurde ein Kindergarten eröffnet, ein Jahr später die erste Schule in Chengdu. Es ist von großer symptomatischer Bedeutung, dass Ben Cherry nicht nur dem britischen Erziehungs-Establishment den Rücken kehrte, sondern auch zum Pionier einer Bewegung in China wurde, die diesem Land und Volk etwas ganz Anderes zu bieten hat als unselige Opiumkriege, welche es im 19. Jahrhundert wirtschaftlich und physisch-seelisch zerrütteten.
Die inzwischen stark gewachsene Waldorfbewegung (rund 80 Schulen) ist so etwas wie ein karmischer Ausgleich für die tiefgreifenden Schäden, die der Westen in China angerichtet hatte.

Thomas Meyer, 12. November 2019, Shenzhen


Kategorie: Editorial, News

Impressions from a trip to the North

11.12.2019

On this trip I was fortunately able to escape the gaudy Swiss national day celebrations. The confederative cantons (Eidgenossen) – once named conspirati, oath-takers in the old spiritual league –were beginning to disappear into the far distance. New horizons were opening up. Finland welcomed this traveller. First the good news: Finland is not in NATO, unlike Norway and Denmark. 70% of Finns are against it, even though the Finnish government continually makes efforts to join NATO.
North of the 60th degree of latitude a different climate prevails, and also a different mental climate. From various sides I was referred to the Kalevala, the great epic of the Finns. It spans a greater period of time than all other European myths. It reaches back to the Hyperborean period, when the sun was still united with the earth, when there was yet no separation of the genders and a pure solar impulse prevailed. The Greeks knew that their sun god Apollo visited the Hyperborean regions in winter, which could not be reached either by ship or by land. Delphi was an offshoot of the original Norse mysteries.
It is easier to breathe in the breadth of this spirit. It is no coincidence that the Finn Pekka Ervast invited Rudolf Steiner to Helsinki where he gave the course on the spiritual hierarchies (GA 136). Ervast later wrote the book “The Key to the Kalevala” and wrote a play about H.P. Blavatsky for the 100th anniversary of the birth of H.P.B., which was performed in Helsinki in 1931. Blavatsky is, spiritually, undoubtedly the most important personality in the period prior to Steiner’s work.
A seminar lasting several days with the most attentive participants – including a large number of teachers – devoted itself in the Waldorf School in Helsinki to the many aspects of the impulse and to the world of The Philosophy of Freedom. After all, this was the work that Steiner said would last for millennia.
In parting, I received a magical gift of coloured felt figures from the Mariatta episode in the Kalevala. Heart-warming, like everything beyond the cold Boreas wind in that Hyperborean land …
On the Sunday of our departure, I was able to speak in the Helsinki branch about the second lecture cycle that Steiner gave in that city. I confined myself to speaking about the “Pearl of Clairvoyance” which was described in it in a unique way, and which represents the end of the ancient clairvoyance as well as the beginning of the new, modern clairvoyance (GA 146).
Finland has a great past, but also a great future. May it withstand all forces that seek to suffocate, freeze and dull its spirit!

At the border with Russia no luggage was examined – except for the gift package with the Mariatta figures. And the face of the customs officer, who had perhaps suspected foreign exchange or cocaine, broke into a gentle smile.
I asked my first question to the taxi driver on the way to the hotel: “What do you think of Putin?” The Solomonic reply was: “Better than Yeltsin.”
St. Petersburg was full of tourists. I took refuge in the little-visited Dostoyevsky Museum, which is superbly and carefully equipped. The only large painting was by Holbein’s work The Corpse of Christ, which he painted in Basel. The novel The Idiot is strongly rooted in it, and the exceptionally ugly painting plays a major role in the novel; even Lenin was fascinated by the painting when he visited Basel in 1916.
The Yussupov Palace was a surprise, full of treasures, with a two-story theatre inside the palace, a concert hall and art galleries. The extensive basement floor was once the bachelor apartment of the very wealthy prince, who prince who, in December 1916, invited Rasputin to a supper there. Shakespearean scenes followed. The cyanide did not work. Yussupov then shot him – in vain. Finally, a British intelligence officer, Oswald Rayner, fired the coup de grace. All of this is openly noted in the text that accompanies the exhibition. Rasputin was the major obstacle to the British intentions to carry out the socialist experiment and to liquidate the Tsar’s family. Rasputin’s words were prophetic: “I fear nothing for myself, but I fear for the people and the royal family, for if I am killed, the people will suffer and the Tsar will disappear.”

The liquidation of Rasputin was as base as the ethos of the Kalevala is noble.
A note of reconciliation suddenly sounded in the Eremitage, in the gallery of works by Rembrandt. I stood there as though spellbound, not because of the numbers of people but because of what radiated from the painting “The Prodigal Son”. Is not every person a prodigal son, who can find his way through all his errors and is therefore especially beloved by the “Father”?
In Tsarskoye Selo finally, I had a conversation with a Russian married couple who were publishers, of whom I shall speak further, in front of a statue that was named Perseus. Stars once again arched over the horizon.

T.H. Meyer

 


Kategorie: TPA Editorial