I. Die irdische Gattin des unbesieglichen Gottes
Perseus, der Sohn des Zeus, hatte eine irdische Verwandte, in deren Schicksal in tiefer Art auch Zeus eingriff: Europa. Ihr phönizischer Vater war Agenor, ein Poseidon-Sohn; die Mutter hieß Lybia und war eine ägyptische Königstochter. Als junges Mädchen hatte die Jungfrau Europa einen bedeutenden Traum: Zwei Frauen erschienen ihr darin, die eine mit phönizischen Zügen, die ihr vertraut waren, die andere von fremdartigem Aussehen. Eines Tages erschien Zeus der Jungfrau in Gestalt eines lieblichen Stiers, der Europas Vertrauen gewann. Kaum saß sie auf seinem Rücken, entführte er das naive Mädchen durch das Meer nach Kreta, wo er – in Gestalt eines unbekannten Mannes – drei Söhne mit Europa zeugte, Minos, den Inspirator der Minoischen Kultur, und Rhadamanthys und Sarpedon. Minos und Radamanthys wurden zu Wächtern über die Seelen der Toten bestellt.
Zeus ließ die dergestalt Verführte einsam und allein zurück. Europa haderte mit ihrem Schicksal, als ihr Aphrodite erschien und sie mit den Worten tröstete: «Liebe hat dich hierher geführt. Darum tröste dich, Europa! Zeus ist es, der dich als Stier geraubt. Zeus war es, dem du die Hand gereicht. Nun bist du die irdische Gattin des unbesieglichen Gottes. Dein Name wird unsterblich sein, denn der fremde Weltteil, der dich aufgenommen hat, wird für alle Zeiten Europa heißen.»
So war die künftige Mission Europas von einem übersinnlichen Wesen – Zeus – geleitet worden. Die großen Werte von Kunst, Philosophie und Demokratie waren Europas schönste Früchte.
II. Europa hat den Geist verloren
Heute befinden wir uns am Ende dieses Werdeprozesses. Kein übersinnliches Wesen nährt Europa mehr. Kunst, Philosophie und «Demokratie» sind hohl und phrasenhaft geworden. Ein goldenes Kalb des reinen Materialismus ist an die Stelle des göttlichen Stiers getreten, dem Europa einst gefolgt war. Geist ist zum geistlosen «Gold» geworden. Kein Zufall, dass ausgerechnet Griechenland, die Geburtsstätte der besten europäischen Werte in bitterer Art die gesamteuropäische Dekadenz widerspiegelt: Die Europäische Union ist ein rein materialistisches Konstrukt, das nicht funktioniert hat und nicht funktionieren wird. Und Griechenland wurde nun im Labyrinth dieser uneinigen Einheit in Geiselhaft genommen. Nicht aus Liebe der übrigen Europäer für dieses Land, sondern wegen wirtschaftlicher und geo-politischer Berechnungen. Der höchste Wert, der höchste Maßstab für «Wirklichkeit» ist Geld und Macht. Die für Europa wichtigsten Institutionen (IWF, EZB, EK, NATO) sind alle auf diese zwei Mächte gebaut. Die Hohepriester des europäischen Goldenen Kalbs sind die «Halbgötter» von Goldman-Sachs. Sie haben Griechenland, zumindest als beratende Hehler, in die Euro-Zone getrickst, und sie müssen nun mit einer Klage gegen den irreführenden Rat und gegen den Hehler-Preis von über 500 Millionen Dollar rechnen. Kaum Aussicht, dass die Klage Erfolg hat, denn einer der früheren Goldman-Sachs Halbgötter (Mario Draghi) ist der Präsident der EZB.
III. Zerstörerischer Militarismus
Ein Nebenprodukt des europäischen Materialismus ist der zerstörerische Intellektualismus und die blinde Vasallentreue gegenüber den westlichen Hohepriestern einer grenzenlosen Geld- und Machtgier. Traurig, doch die meisten dieser dekadenten «Werte» werden heute besonders in Deutschland hochgehalten. Ein schockierender Beweis, der gleichsam die andere Seite der griechischen Münze darstellt: Eine amerikanische Militärbasis bei Mannheim, die im Jahre 2015 eigentlich geschlossen werden sollte, hat eine Verlängerung der Erlaubnis für militärische Operationen erlangt. Am 23. Juni hat der neue amerikanische Verteidigungsminister, Ashton Carter, den Transport von schwerem militärischem Gerät nach Mittel- und Osteuropa verkündet, begründet durch «die russische Aggression». Eines der Resultate: Im Juni wurden 250 Bradley Panzer und anderes militärisches Gerät nach Bremerhaven verschifft und von dort per Zug u.a. zur Militärbasis bei Mannheim befördert.
Ein 9-minütiges Video hat die Einfahrt des Zuges festgehalten. Ein düsterer Trauerzug, der auf dem Video vom berühmten Trauermarsch von Chopin begleitet wurde.
Die EU ist ein Titanic-Projekt, das die völlige Zerstörung Europas zum Ziel hat, und es in den nächsten großen Krieg stürzen soll. Der nächtliche Eisberg ist der hartnäckige europäische Materialismus. Das EU-Europa ist nur das Vorspiel für eine «wirksame Welt-Super-Regierung» (Churchill am 14. Mai 1947); am Ende des Vorspiels soll es politisch versinken, wie einst Atlantis physisch versunken war. Und Europa steht alldem hilflos gegenüber, da es allen Geist verloren hat und die meisten derer, die in Europa einen neuen Geist heraufführen wollten, verkannt, verjagt und verspottet hat. Eine von diesen Individualitäten ist, neben Rudolf Steiner, Helmuth von Moltke, der wie das personifizierte Gewissen für den geistigen Ursprung Europas und für die geistige Zukunft dieses Kontinents dasteht – falls er überhaupt noch eine Zukunft hat.
IV. Europa muss den Weg zum neuen Geist entdecken
Hinter all dem lärmigen und leidvollen äußeren und inneren Kriegstreiben ruft Europa nach einem neuen geistigen Realismus, der die Einsicht bringt, dass es nirgends «Wirklichkeit» gibt ohne die entsprechende geistige Komponente; dass die sogenannten Toten ebenso zum Leben gehören wie die Lebenden, dass selbst hinter dem Geld ein geistiges Element zu finden ist. Diese neue Mission Europas lebt in vielen lebenden als auch verstorbenen Seelen. Nach seinem Tod im Juni 1916, tönt diese Mission zum Beispiel machtvoll aus der Seele Moltkes:
«Europa muss zur Selbstbesinnung kommen und selbst sich zum Geiste finden.» (Moltke II, 3. 5. 1919)
Das ist die gegenwärtige und künftige Mission dieses Kontinents, dessen Aufgabe aus einer alten Spiritualität erfloss, die vollkommen versiegt ist. Falls Europa den Weg zum Geist wirklich findet – und das können konkret immer nur einzelne Europäer –, dann wird auch ein anderes Post-mortem-Wort von Moltke wahr werden: «Wie eine Episode wird das materialistische europäische Zeitalter sein, wenn die neue Geistsonne einmal der Menschheit leuchten wird.»
Thomas Meyer