Der Geistes-Irrtum Johanna von Keyserlingks
Johanna von Keyserlingk (1879–1966) war eine der engsten Schülerinnen Rudolf Steiners. Sie besaß eine gewisse außergewöhnliche Hellsichtigkeit. Steiner bestätigte ihr dies einmal folgendermaßen: «Sie haben das Bewusstsein, das im dritten Jahrtausend gang und gäbe sein wird.»1
Wir haben im Europäer immer wieder Artikel von ihr oder Hinweise auf sie gebracht. Besonders groß waren ihre Erlebnisse über den Beginn des Kali Yuga, die sie an der Seite Steiners hatte.2
Diesmal betrachten wir ihr Erlebnis nach dem Tode Rudolf Steiners (siehe Kasten), das kürzlich erneut in Umlauf gebracht wurde.3
Sie hat es nie selbst veröffentlicht, bis ihr Sohn es im Koberwitz-Buch brachte.4
Wir treffen hier einen anderen als den gewohnten Steiner: Bitter, hart, Schuld zuweisend. Dazwischen Dinge, die er tatsächlich gesagt haben könnte.
Keyserlingk fasste alle von ihr gehörten und aufgeschriebenen Worte als reine Inspiration Steiners auf. Dagegen spricht: Ein wiederholtes apodiktisches Negieren, ohne Ausnahme. (Die einzige Ausnahme wäre Keyserlingk selbst, die das alles hört und schaut.) Dann besonders ein Satz, der eines Jesuiten würdig wäre: «Ich gehe fort, weil ich keine Menschen fand, die meinen Willen verwirklichen konnten.» Hat Steiner jemals so etwas beabsichtigt?!
Wer das Gesagte durchdenkt, wird zur Auffassung kommen, dass hier eine nicht ganz reine, sondern eine ahrimanisierte Inspiration vorliegt. Grund: der durch Steiners endgültigen Weggang ausgelöste Schmerz.
Fazit: Auch ein vorweggenommenes Hellsehen schützt nicht generell gegen subjektive Täuschung, auch wenn sie menschlich nur zu verständlich ist.
T.H. Meyer
Inspiration nach dem Tod Rudolf Steiners
Johanna Gräfin Keyserlingk erlebte in den Todestagen Rudolf Steiners so Wesentliches, dass es hier angeführt werden soll. Damit soll auch richtiggestellt werden, was schon ganz falsch von anderer Seite ohne Wissen des Herausgebers veröffentlicht wurde.
Rudolf Steiner konnte seine Schüler im Geistleib belehren, wie das auch in den Mysteriendramen dargestellt ist. Es hatten schon einige solcher Belehrungen im Geiste stattgefunden, so dass diese geschilderten keine aufregende Überraschung bedeuteten, sondern in ruhiger Bewusstheit erlebt werden konnten.
«Es war am Morgen der Kremation Rudolf Steiners, zu der ich nicht mitfuhr. Noch stand des hohen Lehrers Erdenleib nahe aufgebahrt im Raume der Schreinerei, da tauchte neben mir die Aura des geliebten Lehrers auf. Aus dieser kam die Weisung, dass ich schreiben solle. Ich nahm Papier und Bleistift… und aus seiner Gegenwart kamen die nachfolgenden Worte. Oft konnte ich nicht schnell genug mitschreiben, dann wurde eingehalten und gewartet, bis ich nachgekommen war mit Schreiben, so wie Rudolf Steiner das auch früher getan hatte, wenn er mir etwas diktierte.
‹Meine Mission ist beendet.›
‹Was ich der Reife der Menschen geben konnte, das habe ich ihnen gegeben.›
‹Ich gehe fort, denn ich fand keine Ohren, die hinter dem Wort das Geisteswort vernehmen konnten.›
‹Ich gehe fort, denn ich fand keine Augen, die hinter den Erdenbildern die Geistesbilder erschauen konnten.›
‹Ich gehe fort, weil ich keine Menschen fand, die meinen Willen verwirklichen konnten.›
‹Die Mysterien bleiben verhüllt, bis ich wiederkomme.›
‹Ich werde wiederkommen und die Mysterien enthüllen, dann, wenn es mir gelungen sein wird, in Geisteswelten einen Altar, eine Kultstätte für die Menschenseelen zu begründen. Dann komme ich wieder. Dann werde ich fortfahren, die Mysterien zu enthüllen.›
‹Die sind schuld an meinem Tode, die die Herzenskultur unterbunden haben.›
‹Wären die Menschen durch ihre Herzen in die Tiefe gedrungen, sie hätten die Kraft gefunden, den Aufgaben der Zeit zu genügen.›»
Aus: Koberwitz 1924, 3. Aufl., 1985, S. 188.
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1 Koberwitz 1924, 3. Aufl., 1985, S. 25.
2 In Der Europäer, Jg. 23, Nr. 11 (September 2019).
3 Anthroposophie und Zeitgeschehen, Nr. 95, 30. März 1925.
4 Koberwitz 1924, 3. Aufl., 1985, S. 188.