Ein bemerkenswertes Buch
Eine Rezension von Markus Osterrieders Welt im Umbruch. Nationalitätenfrage,
Ordnungspläne und Rudolf Steiners Haltung im Ersten Weltkrieg
Das 100-Jahres-Gedenkjahr zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 2014 ist in Deutschland nicht zuletzt mit schwer gewichtigen, voluminösen, umfangreichen Büchern gefeiert worden. Zuerst kamen schon 2013 Christopher Clarks Schlafwandler mit 896 Seiten, dann Herfried Münklers Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918 mit 924 Seiten und in diesem Frühjahr noch Jörn Leonhards Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs mit 1’156 Seiten und Jörg Friedrichs 14/18. Der Weg nach Versailles mit 1’072 Seiten. In Österreich hat Manfred Rauchensteiner ein kompendiumartiges Buch über Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger Monarchie mit 1’222 Seiten vorgelegt.
Alle übertroffen aber hat jetzt im Frühjahr Markus Osterrieders Die Welt im Umbruch mit 1’722 Seiten. Wenn dasjenige Clarks das wirkungsvollste der Bücher war, das in Deutschland die Kriegsschulddiskussion neu aufgerollt und dadurch auch wütende Reaktionen nach sich gezogen hat,*
so ist Markus Osterrieders Buch sicherlich das inhaltlich bedeutendste, reichste. Ähnlich wie dasjenige Clarks zeichnet Osterrieders Buch eine europäische oder sogar über Europa hinausgehende Universalität aus. Clarks Buch bietet eine Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs in der Diplomatie der maßgeblich beteiligten Länder hauptsächlich im letzten Jahrzehnt vor Kriegsausbruch, aber Osterrieders Buch erstreckt sich über ganz andere Zeiträume und Landschaften. Es rollt ein breites Panorama europäischer (und über Europa hinausgehender) Vorgänge seit dem neunzehnten Jahrhundert auf, die durch das Buch überhaupt erst in ihrer Verbindung zum Ersten Weltkrieg sichtbar werden. Es kümmert sich an vielen Stellen auch um Regierungspolitiken, Militärpolitiken, Außenpolitiken, aber es reicht weit darüber hinaus. Osterrieders Buch mäandert dabei durch verschiedene Themen, Länder und Zeiten. Die einzelnen Thematiken gehen nicht in einer stringenten Logik auseinander hervor, sondern sie stehen nebeneinander und ergänzen sich zu einem beeindruckenden umfassenderen Bild.
Markus Osterrieders Buch ist aus einem Auftrag der Anthroposophischen Landesgesellschaft in Deutschland zum Thema «Rudolf Steiner und der Erste Weltkrieg» hervorgegangen. Das Resultat muss die urspünglichen Auftraggeber wohl verblüffen und dürfte weit über alles hinausgehen, was sie sich von dem Auftrag versprochen haben. Alleine die physische und geistige Ausdauer und Stetigkeit, das Thema über eineinhalb Jahrzehnte hinweg verfolgt zu haben und dann, mit einer so ungeheuren Menge an Material, tatsächlich zu einer Art Abschluss gebracht zu haben, wird man bewundern müssen.
Osterrieders Buch ist keine monographische, in sich zusammenhängende Darstellung der Haltung Rudolf Steiners, sondern es ist eine Darstellung von Themen, die Rudolf Steiner im Zusammenhang mit dem Weltkrieg angesprochen hatte und denen Osterrieder – in manchmal weit über Steiner hinausgehender Breite – nachgegangen ist. Diese thematischen Blöcke werden dann immer wieder mit Dingen zusammengeführt, die Rudolf Steiner in seinen Weltkriegsvorträgen geäußert hat. Damit wird einerseits fassbar, worüber Rudolf Steiner eigentlich gesprochen hat und andererseits, wie viel reelle Kenntnisse der Verhältnisse in diesen Äußerungen Rudolf Steiners enthalten waren. Obwohl Osterrieder manchmal auch vor Kritik an Steiner (beziehungsweise einer Problematisierung von einzelnen Aussagen Steiners, manchmal vielleicht mit einer zu großen Reverenz Osterrieders gegenüber heutigen Vorurteilen) nicht zurückschreckt, ist das Buch so doch insgesamt eine Apologie von Steiners Weltkriegsbetrachtungen geworden: Es zeigt, dass Steiners Weltkriegsbetrachtung aus einer tiefen
Kenntnis und einem weiten Überblick über tatsächliche Verhältnisse hervorgegangen ist, und nicht – wie manchmal behauptet wurde – aus einem nationalistischen deutschen Furor oder einer wahnhaft verschwörungstheoretischen Haltung. Es zeigt auch, dass Steiners Betrachtungsweise fast überall auch
relevanter ist, als andere zeitgenössische Perspektiven, dass sie die Kraft hat, noch heutige Verhältnisse mit zu erschließen und verständlich zu machen. Sie hat die Sprengkraft einer – bis heute – unterdrückten Wahrheit. Das zeigt sich vielleicht insbesondere beim Blick auf Fragen, die mit dem Verhältnis von Volk, Nation und Staat zusammenhängen. Hier ist eine Auffassung, die aus dem Ersten Weltkrieg als herrschende hervorgegangen ist, zugleich die auch heute vorherrschende, die in Wirklichkeit eine unübersehbare Kette von Katastrophen Buchbesprechung
hervorgebracht hat und weiterhin hervorbringt; ihr gegenüber erscheinen Rudolf Steiners Ideen hierzu als das einzige wirkliche Erkenntnisorgan, das sich die Menschheit geschaffen hat, um vielleicht einmal dieses Schlamassel zu überwinden.
Es ist unmöglich, in einer kurzen Rezension einen Überblick über die Fülle der von Osterrieder behandelten Themen zu geben.** Er hat sein Buch in zwei Großteile aufgeteilt: Die Nationalitätenfrage in Mitteleuropa und der Weg in den Weltkrieg, und: Das Ringen um eine neue Weltordnung. Vielleicht kann man den inhaltlichen roten Faden ohne allzu große Vergewaltigung folgendermaßen beschreiben: Das Erwachen der Nationalitäten in Mitteleuropa im neunzehnten Jahrhundert und – daraus resultierend – das Völkerproblem; wie aus diesem Völkerproblem der Weltkrieg entstand; wie dieses
Völkerproblem in den Plänen und Handlungen der westlichen Politik behandelt und einer Lösung zugeführt wurde, wie es in die umfassenderen Vorstellungen dieser westlichen Politik eingebettet wurde – und: wie Rudolf Steiner diese Dinge betrachtete und welche Ideen er zu ihrer Lösung entwickelte.
Einige thematische Blöcke in dem umfangreichen Material seien zusätzlich kurz herausgegriffen: Ein Glanzstück des Buches bilden sicherlich Osterrieders außerordentlich detailreiche Darstellungen von Plänen, Vorgängen, Personennetzwerken im «okkulten Untergrund» im Europa des Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg. Hier wird eine zusätzliche, sonst verborgene Dimension der Geschichte sichtbar, ohne welche die an der Oberfläche sichtbare nicht völlig verständlich ist. Das wird im Detail beispielsweise geschildert in Bezug auf das russisch-französische Bündnis von 1891/94, das ein Pfeiler der Bündniskonstellation des Ersten Weltkriegs war. Obwohl die Julikrise bei Osterrieder nicht in gleichem Maße im Vordergrund steht wie bei vielen anderen Autoren, beleuchten einzelne Kapitel auch entscheidende Umstände im Vorfeld des Kriegsausbruchs 1914: die Hintergründe des Attentats von
Sarajewo (S. 592-632), die Frage der belgischen Neutralität (S. 774-798) und die Umstände der russischen Mobilmachung im Juli 1914 (S. 742-774). Zu all dem hat Osterrieder Quellen in einer Breite zusammengetragen, die eigentlich eine Revision vieler bislang verbreiteter Sichtweisen zwingend notwendig machen müsste. – Besonders interessant, ja sensationell erscheint das Material im Kapitel über The English-Speaking Idea (S. 801-959), wo Osterrieder auf die Pläne und das Selbstverständnis führender Zirkel in England und den USA eingeht. Vieles hier liefert für die oft mysteriös erscheinenden, legendenumwobenen Hinweise Rudolf Steiners auf die «westlichen Logen» eine Art historiographisches Fleisch, d.h. einen aus historischen Quellen eruierbaren Inhalt. Dadurch wird manches verständlich, benennbar und fassbar, was sonst vielleicht halb-phantastisch erschien. Dieses Material macht auch deutlich, wo in solchen Zirkeln in den Jahrzehnten vor 1914 tatsächlich auf den Weltkrieg hingearbeitet wurde bzw. so gearbeitet wurde, dass der Weltkrieg als Resultat unvermeidlich wurde.
Auch rein Esoterisches wird von Osterrieder behandelt – etwa ein Themenkomplex wie Rudolf Steiners Gedenken an die Weltkriegstoten bzw. seine Ausführungen über das nachtodliche Schicksal der Seelen der Getöteten oder Besessenheitsphänomene, die Steiner zufolge dem Handeln der entscheidend Verantwortlichen in hohem Maße zugrunde lagen. (S. 969-992) In höchstem Maße symptomatisch erscheinen die Episoden um Rudolf Steiners Beziehungen zu Annie Besant und Edouard Schuré während des Weltkriegs (S. 937-959 u. S. 992-1000). Weiterhin aktuell erscheint die Darstellung von Rudolf Steiners Dreigliederungsinitiative in der Auseinandersetzung mit dem sich abzeichnenden Friedensprogramm der Entente, das auf den Ideen vom «Selbstbestimmungsrecht der Völker» und einem zu gründenden Völkerbund ruhte. (S. 1364-1431)
Osterrieders Buch ist in seiner Präsentation bis hin auf die skrupulösen Transkriptionen und Namensschreibweisen streng auf die Maßstäbe der akademischen Geschichtswissenschaft ausgerichtet. Es enthält 4’291 z.T. sehr gehaltvolle Anmerkungen und eine Bibliographie von 42 zweispaltigen Seiten. Es enthält Material aus Archivforschungen in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und den USA; das herangezogene veröffentlichte Material stammt teilweise aus weit entlegenen Veröffentlichungen in einer Vielzahl europäischer Sprachen. Die Vielsprachigkeit (bzw. -lesefähigkeit) des Autors, die sich bis auf die meisten romanischen und slawischen Sprachen erstreckt, hat ihm hier einen Zugang von einzigartiger internationaler Weite ermöglicht. In seiner wissenschaftlich kaum angreifbaren Art kann ein Zweck des Buches nicht zuletzt darin liegen, es der akademischen Wissenschaft zu verunmöglichen, die Ausführungen und Gesichtspunkte Rudolf Steiners (weiterhin) einfach als Unsinn abzutun. Man wird abwarten müssen, wie das Werk in der universitär organisierten Geschichtsforschung tatsächlich rezipiert werden wird.
Osterrieders Werk ist das Resultat einer der zweifellos weitgespanntesten, gründlichsten Untersuchungen zum Umfeld des Ersten Weltkriegs, die jemals durchgeführt wurden. Die Fülle und Relevanz des Materials, das er dabei zu Tage gefördert hat, sind beeindruckend. Was auch immer man daran zu kritisieren finden mag, bestehen bleibt, dass man nach diesem Buch nicht mehr in der gleichen Art auf die von ihm behandelten Dinge schauen kann wie zuvor.
Andreas Bracher, Cambridge (USA)
* Siehe z.B. die Zeitungsartikel: Andreas Wirsching, «Schlafwandler und Selbstmitleid», in Süddeutsche Zeitung, 27.7.2014; Henricht August Winkler, «Und erlöse uns von der Kriegsschuld», in Die Zeit, 18.8.2014; oder auch Hans-Ulrich Wehler, «Beginn einer neuen Epoche der Weltkriegsgeschichte», in
FAZ, 7.5.2014. Wirsching ist Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Winkler Professor an der Humboldt-Universität Berlin, Wehler galt bis zu seinem Tode in diesem Sommer als der führende deutsche Historiker eines eher sozialgeschichtlich orientierten (mit der SPD verbundenen) Spektrums. Alle drei haben bzw. hatten enormen Einfluss in den institutionellen Netzwerken der deutschen Zeitgeschichtler. Alle drei sind einer bundesrepublikanischen Westorientierung verpflichtet und haben in der Rezeption Clarks in Deutschland eine Bedrohung dieser deutschen Westbindung gesehen. Bei allen wird recht deutlich, dass eigentliche Wahrheitsfragen bei ihrer Auseinandersetzung mit Clark und seiner Rezeption keine Rolle spielen, sondern dass es dabei um die politisch-kulturellen Konsequenzen einer solchen Betrachtungsweise in Deutschland geht.
** Der Europäer hat im Rahmen der Weltkriegsserie 1914-2014 auch zwei Kapitel aus Osterrieders Buch vorabgedruckt: Die Martinisten und Russland in Jg. 17, Nr. 5 (März 2013), außerdem Annie Besant und das kommende Weltimperium in Jg. 17, Nr. 9-10 (Juli/ August 2013).
Zukunftskarten und was sie offenbaren
Ein Buchhinweis
Zu den wenigen Büchern, die Rudolf Steiners Vorträge aus dem Ersten Weltkrieg zum Leitfaden einer eigenen historisch-politischen Betrachtung gemacht haben, gehört Mapping the Millenium. Behind the Plans for the New World Order1 von Terry Boardman.2 Das Buch war bereits 1998 in England erschienen, war lange vergriffen und ist jetzt unverändert (auf Englisch) wieder aufgelegt worden. Das Buch ist eine symptomatische Geschichtsschreibung im besten Sinne. Es untersucht
zwei Symptome eminenter Art, zwei als nicht ganz ernst posierende Karten, die eine zukünftige Ordnung Europas bzw. der Menschheit präsentiert haben. Die eine davon erschien 1890 in der englischen Zeitschrift The Truth unter dem Titel «The Kaiser’s Dream» (Der Traum des Kaisers), die andere 1990 in der englischen Wochenzeitung Economist als eine «new and accurate map of the world» (eine neue und genaue Karte der Welt).
Indem Boardman den Hintergrund der Zeitschriften untersucht, macht er klar, dass diese Karten als Zukunftsprogramme bestimmter politischer Insidergruppen zu werten sind, die hier ihre Umgestaltungspläne in verschleierter Form als eine Art Scherz in die Welt hinauslanciert haben. Die Karte von 1890 weist dabei voraus auf den Ersten Weltkrieg, sie stellt eine Ordnung der
europäischen Dinge vor, wie sie ansatz- bzw. teilweise dann nach dem Weltkrieg verwirklicht wurde; d.h. die Karte enthält implizit eigentlich eine Ankündigung des Weltkriegs, denn nur durch diesen konnte eine derartige Umgestaltung ausgelöst werden. In der Truth-Karte sind alle europäischen Staaten in Republiken umgewandelt, Deutschland ist in kleinere Republiken zerfallen (hier entspricht die Karte eher den Verhältnissen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt wurden), zwischen Deutschland und Russland sind unabhängige Staaten entstanden. Russland als einziges Land wird nicht als Republik bezeichnet, sondern als «Wüste» (Russian Desert). Boardman sieht hierin wohl zurecht einen Hinweis auf die Verhältnisse, wie sie in Russland nach 1917 hergestellt wurden, den Bolschewismus, das «sozialistische Experiment», eine Art soziales Wüstenland. Die Karte enthält insofern auch einen Hinweis darauf, dass derartige Dinge im englischen Westen jahrzehntelang für Russland geplant bzw. vorgedacht wurden, worauf ja auch Rudolf Steiner hingewiesen
hatte.
Die Economist-Karte von 1990 – die auch in dieser Zeitschrift schon öfter besprochen wurde – nimmt Boardman zum Anlass, um ausgehend von Artikeln des Economist und Publikationen von Francis Fukuyama, Samuel Huntington, Zbigniew Brzezinski und anderen die Zukunftspläne der angloamerikanischen Eliten für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte zu deuten und zu schildern, wie sie eben in den 1990er Jahren sichtbar wurden.3 Boardmans Buch ist aber nicht nur eine Analyse der in derartigen Zeugnissen sichtbar werdenden Zielvorstellungen und Strategien anglo amerikanischer Elitezirkel, sondern es ist zugleich auch eine Charakteristik des darin herrschenden – letztlich erschreckenden – Geistes.
Boardman diskutiert all das anhand von Meldungen, Verlautbarungen, Diskussionen der 1990er Jahre und insofern hat das Buch eine starke Zeitbezogenheit; man könnte – zumal nachdem zwischenzeitlich die Ereignisse des 11. September 2001 erfolgt waren – glauben, dass es veraltet sein müsste. Aber tatsächlich wirkt die Perspektive von Boardmans Diskussionen heute weitgehend genau so frisch und aktuell wie vor 15 Jahren und bestätigt darin die prognostische und symptomatologische Qualität seines Buchs. Insofern wird man die unveränderte Neuveröffentlichung als ganz berechtigt und sinnvoll ansehen können. Man mag das an einem Beispiel aufzeigen: in der Economist-Karte von 1990 erscheint als eine zukünftige politisch-kulturelle Einheit Euro-America. Das westliche (lateinisch geprägte) Europa und Amerika, insbesondere die USA, erscheinen hier als vollständig zusammen gewachsen. Boardman schildert in seinem Buch Diskussionen aus den 1990er Jahren, die Intentionen in diese Richtung erkennen lassen. Tatsächlich wurde jetzt 2013 die Eröffnung offizieller Gespräche für eine transatlantische Freihandelszone zwischen den USA, der EU und einigen weiteren Staaten (TAFTA) anberaumt, d.h., man versucht zur institutionellen Verwirklichung dieser Pläne zu schreiten.
Ein Fazit Boardmans lautet folgendermaßen: «Letztlich ist das, was Fukuyama und The Economist für
die nächste Zukunft der Menschheit vorschlagen, nicht so sehr irgendeine nationalistische anglo-amerikanische Herrschaftsstrategie; es ist vielmehr die Versklavung des menschlichen Geistes und seine Unterwerfung unter ein einheitliches Lebensmuster, seine Anerkennung nur eines Gottes, Mammons oder des Antichrist, der in dieser Epoche seine Ziele nicht ausschließlich, aber hauptsächlich durch ein neues Weltreich verfolgt, das für diese fünfte Epoche das gleiche sein soll, was das Römische Reich in kleinerem Maßstab für die vierte war. Amerika und die englisch-sprechende Welt waren und sollen weiterhin die wichtigsten Instrumente für die Etablierung dieses Weltreichs sein.»4
Andreas Bracher, Cambridge USA
Anmerkungen
1 Temple Lodge Publishing, Forest Row, Sussex, UK 2013. Übersetzung ungefähr: Das neue Jahrtausend kartographieren: Hinter den Plänen für eine Neue Weltordnung.
2 Terry Boardman hat 2005 auch Steiners Vorträge zu den Hintergründen des Ersten Weltkriegs 1916/17 ins Englische übertragen und unter dem Titel The Karma of Untruthfulness herausgegeben.
3 Francis Fukuyama kam 1990 mit dem Deutungsmuster vom «Ende der Geschichte», das nach dem Ende des Kalten Krieges nun angebrochen sei, Samuel Huntington lancierte die These vom Kampf der Kulturen, einer Vorstellung, dass die Weltpolitik in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten von einem Konflikt verschiedener (angeblicher oder wirklich bestehender) Kulturformationen – dem Westen, der islamischen Welt, dem orthodoxen, dem chinesischen und dem indischen Kulturkreis – geprägt sein würde. Brzezinski entwarf u.a. in seinem Buch The Grand Chessboard eine langfristige Zukunftsstrategie für eine amerikanische Vorherrschaft in der Menschheit.
4 Boardman, a.a.O., S. 153f.
Die verborgenen Ursprünge des Ersten Weltkriegs
Hidden History – The Secret Origins of the First World War (2013) von Gerry Docherty und Jim MacGregor
Um die Jahrtausendwende, auf dem Höhepunkt von Amerikas unipolarer Beherrschung der Welt, war der Konsens der dominanten akademischen Meinungen in der englischsprachigen Welt über die Ursprünge des Ersten Weltkriegs dorthin zurückgekehrt, wo er schon 1914 und 1919 gewesen war, nämlich, dass Deutschland und – in geringerem Maße – Deutschlands Verbündeter Österreich-Ungarn alle oder die hauptsächliche Verantwortung für den Ausbruch des Weltkriegs tragen müssten. Und da es seit langem akzeptiert wird, dass die Übel des zwanzigsten Jahrhunderts, inklusive des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs, Faschismus und Kommunismus etc. Folgen des Ersten Weltkriegs waren, war die Implikation, dass die deutsch sprechende Welt tatsächlich für die meisten Bösartigkeiten in diesem bösartigsten aller Jahrhunderte verantwortlich gewesen wäre. Deutschland war eindeutig für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich, so behauptete man, und jetzt wurde zusätzlich dargelegt, dass es in gleicher Weise für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen wäre.
Seit dem 11. September und dem Wachsen der Wahrheitsbewegung bezüglich des 11. September ist Millionen Menschen zunehmend deutlich geworden, dass sowohl die gegenwartspolitische Berichterstattung als auch die Zeitgeschichte zu großen Teilen verfälschte Darstellungen der Ereignisse bieten, die von Menschen in privilegierten Positionen in der Gesellschaft zusammengezimmert wurde. Seitdem sind eine Reihe von Büchern in der englischsprachigen Welt veröffentlicht worden, die den vormaligen akademischen Konsens über die Bedeutung des Zwanzigsten Jahrhunderts und über die Ursprünge des Ersten Weltkriegs, den höllischen Schmelzofen dieses Jahrhunderts, in Frage gestellt haben. Die Schlafwandler des australischen Professors Christopher Clark (2012) haben viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, besonders in den deutschsprachigen Ländern. Weiter erschienen zwei Bücher des amerikanischen Historikers Sean McMeekin – The Russian Origins of the First World War (2011) und Juli 1914 (2013). In Großbritannien haben außer Prof. Keith M. Wilson von der Leeds University (dessen Werke nur in akademischen Kreisen bekannt sind) und Niall Ferguson mit The Pity of War (Der falsche Krieg) (1998) keine akademischen Figuren ihren Kopf mit Büchern, die in der Öffentlichkeit zur Kenntnis gekommen wären, über den Zaun gestreckt. Diese Lage ist nun zu einem
gewissen Teil durch die Veröffentlichungen von Lord Milner’s Second War von John P. Cafferky (2013)1 und von Hidden History – The Secret Origins of the First World War von Gerry Docherty und Jim MacGregor (2013) zurecht gerückt worden. Dieses letztere Buch war eine der letzten Veröffentlichungen des schottischen Verlags Mainstream Publishing (Edinburgh und London), der 1978 gegründet worden war und dieses Jahr schließt. Sein Katalog wird von der Transworld Division der Random House Gruppe
übernommen.
Hidden History – The Secret Origins of the First World War ist «den Opfern eines unaussprechlichen Bösen» gewidmet. Ein solches Böses wird gewöhnlich mit dem Zweiten Weltkrieg assoziiert; welches Böse meinen die Autoren in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg? Die hintere Umschlagseite des Buches nennt die Geschichte des Ersten Weltkriegs eine «vorsätzlich zusammengebraute Lüge». Das vordere Umschlagbild zeigt Zeilen eines Textes, die redigiert wurden, um damit anzudeuten, dass unser
Verständnis der Geschichte durch Zensur und Geheimhaltung verstümmelt wurde; es zeigt außerdem die Fotos dreier Männer, die intim mit dem «unaussprechlichen Bösen» und der «vorsätzlich zusammengebrauten Lüge» verbunden waren: Sir Alfred Milner, Albert Edward, der Prinz von Wales (später König Edward VII.) und Winston Churchill. Obwohl Milner und Prinz Albert Edward aktive und sehr prominente Freimaurer waren, hält sich das Buch fern von irgendwelchen okkulten oder esoterischen Aspekten des Ursprungs des Weltkriegs; seine These ist, dass diese drei Männer Teil einer Verschwörung waren, «einer Kabale internationaler Finanzleute, Industrieller und ihrer politischen Agenten», deren Ziel es war, «die ganze Welt unter ihre Kontrolle zu bringen» (S. 12) – und dass die Kabale zu diesem Zweck zuerst die Burenrepubliken Südafrikas und danach das Deutsche Reich, den Staat, den sie als Kuckuck in Großbritanniens globalem Nest ansahen, zerstörte.
Unerkannt bleibende Kriegstreiber…2
Die Geschichte des Ersten Weltkrieges ist eine bewusst erfundene Lüge, nicht aber die Opfer, das Heldentum, der entsetzliche Verlust an Leben oder das daraus folgende Elend.
Nein, das alles war sehr wirklich. Aber die Wahrheit darüber, wie alles begann und wie es unnötigerweise über das Jahr 1915 hinaus verlängert wurde, ist mehr als ein Jahrhundert lang erfolgreich manipuliert worden. Ein sorgfältig gefälschtes Geschichtsbild wurde nur zum Zweck verbreitet, um die Tatsache, dass England und nicht Deutschland für den Krieg verantwortlich war, zu kaschieren. Wäre nämlich die Wahrheit nach 1918 in weiten Kreisen bekannt
geworden, wären die Folgen für die herrschende englische Klasse verheerend gewesen.
England, Frankreich und Amerika auferlegten bei Kriegsende die ganze Schuld Deutschland und scheuten keine Mittel, um dieses Urteil zu rechtfertigen, indem sie Dokumente und Berichte entweder vernichteten, unzugänglich machten oder fälschten.
1919 beschlossen die Sieger in Versailles, in der Nähe von Paris, dass Deutschland alleine für den Weltkrieg verantwortlich sei. Sie beharrten darauf, dass Deutschland den Krieg vorsätzlich geplant und alle ihre Friedens- und Vermittlungsgespräche zurückgewiesen habe. Deutschland protestierte aufs heftigste gegen die Schuldzuweisung und betonte, dass es sich um einen Verteidigungskrieg gegen die Angriffe von Russland und Frankreich gehandelt habe.
«Dem Sieger gehört die Beute», und dessen Urteil wurde umgehend öffentlich anerkannt. Die allgemein akzeptierte Geschichte über den Ersten Weltkrieg dreht sich um den deutschen Militarismus, seinen Eroberungswillen, um des Kaisers bombastische Natur, seinen Ehrgeiz und den Überfall auf das unschuldige, neutrale Belgien. […]
Wir zeigen, wie die unvorbereitete Welt – weit entfernt von schlafwandlerischem Hineintappen in den Weltkrieg – von unerkannt bleibenden Kriegstreibern in London in eine Falle gelockt wurde. Wir entlarven die Absicht, Deutschland eines heimtückischen Verbrechens an der Menschheit zu bezichtigen
oder die Meinung, dass Belgien eine unschuldige, neutrale Nation war, die vom deutschen Militarismus überrascht wurde. Wir belegen klar, dass der deutsche Überfall auf Belgien nicht ein unüberlegter und willkürlicher Angriff, sondern eine Reaktion darauf war, dass Deutschland kurz vor
der Vernichtung stand. […]
Dieses Buch will beweisen, wie skrupellose Engländer einen Krieg ausdachten und die dazu nötigen Schritte einleiteten, um Deutschland zu zerstören. 1914 wird allgemein als Auslöser für die folgende Katastrophe angesehen, aber die entscheidenden Beschlüsse wurden viele Jahre früher gefasst.
Eine geheime Gesellschaft von reichen und mächtigen Männern wurde 1891 in London mit dem langfristigen Ziel gegründet, die ganze Welt zu beherrschen. Diese Individuen, die wir die geheime Elite nennen, schürten bewusst den Buren- Krieg von 1899-1902, um die Goldminen von Transvaal in ihren Besitz zu bringen. Dies war ein Muster für zukünftige Aktionen. Ihr Ehrgeiz setzte sich über die Menschheit hinweg, und ihre Rolle wurde in den Geschichtsbüchern minimalisiert, nicht beachtet oder rundweg abgestritten. Das Elend der englischen Konzentrationslager in Süd-Afrika, in denen 20‘000 Kinder starben, wird geflissentlich übergangen. […]
Professor Quigleys wichtigster Beitrag zum Verständnis der modernen Geschichte waren seine Bücher The Anglo-American Establishment und Tragedy and Hope [Eine Teilübersetzung auf Deutsch ist unter dem Titel Katastrophe und Hoffnung 2006 im Perseus Verlag erschienen]. Das erste Werk wurde 1949 geschrieben, aber erst nach Quigleys Tod 1981 veröffentlicht. Seine Enthüllungen brachten ihn in so große Gefahr, dass das Buch zu seinen Lebzeiten nicht erscheinen konnte. In einem Radiointerview von 1974 warnte Quigley seinen Interviewer Rudy Maxa: «Bitte, bleiben Sie diskret, Sie müssen Ihre und meine Zukunft schützen.» […] (Es folgt eine Besprechung dieser beiden Bücher.)
Den Mitgliedern dieser geheimen Elite war nur zu klar, dass Deutschland England immer schneller in allen technischen Belangen, in der Wissenschaft, in Industrie und Handel zu überholen begann. Sie betrachteten Deutschland als Kuckuck im afrikanischen Nest ihres Imperiums und sorgten sich um dessen wachsenden Einfluss in der Türkei, auf dem Balkan und im Mittleren Osten. Sie nahmen sich deshalb vor, den Kuckuck hinauszuwerfen. […]
Die zwei mächtigen Regierungsstellen, das Außenund das Kolonialministerium sowie deren wichtigste Repräsentanten wurden von ihnen infiltriert. Zusätzlich kontrollierten sie die Regierungsstellen, die ihren Ehrgeiz am besten befriedigen konnten: das Kriegsministerium, den nationalen Verteidigungs-Ausschuss und die höchsten Chargen der Armee. Es gab keine parteipolitischen Voraussetzungen, Loyalität zur Sache genügte. […]
Unsere Analyse der unbekannten Ursprünge des Ersten Weltkrieges stützt sich auf Carrol Quigleys Forschungen als wichtigen Pfeiler, geht aber viel tiefer als seine Enthüllungen. Quigley meinte, dass es nicht schwierig sei, Beweise für die Intrige zu finden, wenn man weiß, wo sie zu finden sind. Genau das haben wir unternommen. Wir begannen mit den hauptsächlichsten Personen, die er namhaft gemacht hatte (die auch von Insider Alfred Zimmern bestätigt wurden). Dieses Buch geht ihren Taten nach, schildert ihre Karrieren, mit ihrem Aufstieg und Einfluss und schließlich in ihrem Bestreben, die Welt in den Krieg zu treiben. [Übersetzung ins Deutsche: Marcel Frei]
«Ihr letztes Ziel war es, alle bewohnbaren Gebiete der Erde unter ihren Einfluss oder ihre Kontrolle zu bringen. Die beteiligten Individuen hatten eine gemeinsame Sorge, eine tiefe und bittere Angst, dass ihr Reichtum, ihre Macht und ihr Einfluss von Ausländern, ausländischen Interessen, ausländischen Geschäftsleuten, ausländischen Gewohnheiten und ausländischen Gesetzen unterminiert und schließlich übernommen werden könnten, wenn man nicht radikale Maßnahmen ergreifen würde. Sie glaubten, dass weiße Männer angelsächsischer Herkunft zurecht an der Spitze einer rassischen Hierarchie saßen, einer Hierarchie, die gebildet war aus einer Vorherrschaft im Handel, in der Industrie und in der Ausbeutung anderer Rassen. Für sie war die Wahl eindeutig. Man musste drastische Maßnahmen ergreifen, um das Britische Empire zu schützen und weiter zu entwickeln, sonst lief man Gefahr, dass Länder wie Deutschland einen zu bloßen Mitspielern auf der Bühne der Welt reduzieren
würden.»
Die Einleitung des Buches macht deutlich, dass das «keine wild-verrückte Verschwörungstheorie» ist, sondern auf gediegener historischer Forschung einer Reihe von Akademikern aus verschiedenen Ländern beruht, besonders auf Forschungen aus den Jahrzehnten zwischen den Weltkriegen, aber auch von neueren Forschern – sie beruht speziell auf dem Werk Professor Carroll Quigleys von der Georgetown University in den USA, insbesondere auf seinen beiden Büchern The Anglo-American Establishment (1949) und Tragedy and Hope (1966).3 Den Autoren zufolge ist Quigleys Werk der Schlüssel zur Identifikation einer Geheimgesellschaft, die von Cecil Rhodes, dem Minenbesitzer und Imperialisten, gegründet wurde, der tief durchdrungen von der Meinung war, im besten Interesse der Menschheit wäre es, dass die Welt von der Kultur der englischsprachigen Länder aus geformt werden sollte. Das intellektuelle Kraftzentrum des Projekts von Rhodes war die Universität Oxford, wofür er die Rhodes-Stipendien einrichtete. Das Buch zeigt im Detail, wie die Reichweite von Rhodes’ Geheimgesellschaft sich erst über die Eliten der englischsprachigen Länder verbreitete und
von dort aus in die Länder, mit denen Britannien Bündnisse einging, wie Frankreich, Russland und die USA. Es zeigt, wie die «geheime Kabale» ihre Leute in Regierungspositionen und die höhere Verwaltung dirigierte, um von dort aus die Politik zu bestimmen; wie sie Leute ins Militär brachte, um diese Politik auszuführen; in die Medien, um diese Politik zu «erklären» und zu propagieren und in die akademische Welt, um die Geschichtsschreibung zu kontrollieren. Es schließt, indem es die Täuschungsmanöver
von Großbritanniens Außenminister Sir Edward Grey aufzeigt, die dazu dienten, das eigene Kabinett und dann das Parlament im August 1914 in die Zustimmung zum Krieg zu führen.
Nachdem es die Ursprünge von dem beschreibt, was es ziemlich sensationell «die Geheimkabale» nennt, diskutiert das Buch die Bedeutung Südafrikas und des Burenkrieges für die Anfangsstadien der Verschwörung. Es geht dann über zur Entente Cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien, zur Ersten Marokkokrise (1904-05) und zum Russisch-Japanischen Krieg in den gleichen Jahren.
Es zeigt, wie es die «Kabale» verstand, trotz des Regierungswechsels von 1906 ihren Einfluss in Großbritannien zu erhalten und wie sie Großbritanniens Kriegsvorbereitungen organisierte. Es beschreibt dann die Schlüsselrolle des russischen Außenministers Izvolsky, eines Mannes, der von der Kabale kontrolliert wurde und die Art, wie das Flottenwettrüsten zwischen Großbritannien und Deutschland behandelt wurde. Es schildert im Detail, wie die Medien benutzt wurden, um Angst und Kriegshetze zu betreiben. Bedeutende Personen, die in den Entwicklungen, die zum Krieg führten, Schlüsselrollen inne hatten, waren David Lloyd George, Feldmarschall Roberts, Winston Churchill – seit 1911 bei der Admiralität –, der Kriegsminister Richard Haldane und seine engsten Freunde bei den liberalen Imperialisten, Außenminister Edward Grey und (nach 1908) Premierminister Herbert Asquith, Col. Repington, der Militärkorrespondent der Times und ihr Balkankorrespondent James D. Bourchier, Amerikaner wie J.P. Morgan und Senator Nelson Aldrich und auch Raymond Poincaré, seit 1912 französischer Premierminister und seit 1913 Präsident.
Nach einer etwas kursorischen Beleuchtung der Balkankriege (1912-1913) bis hin zum Attentat von Sarajevo auf Erzherzog Franz Ferdinand, kommt in vier Kapiteln, die zu den besten des Buches gehören, die Julikrise und die Rolle von Sir Edward Grey zur Sprache. Hier findet sich auch die interessante und originelle These der Autoren über die Bedeutung der irischen Krise in Großbritannien von Januar bis Juli 1914, welche die Autoren als Notfallplanung, als Plan «B» bezeichnen – ausgeheckt von den Leuten in London, die Großbritanniens Intervention in einem kontinentalen Krieg sicher stellen wollten –, für den Fall, dass das eigentlich eingeplante belgische Szenarium nicht zur Auswirkung kommen sollte. Wenn die Belgier sich geweigert hätten zu kämpfen und den Deutschen im August 1914 einfach freien Durchzug nach Frankreich gewährt hätten, oder wenn, aus irgendeinem Grund, die Deutschen sich dafür entschieden hätten, doch keinen Angriff auf Frankreich durch Belgien hindurch zu machen, dann hätte man irgendeinen anderen Vorwand finden müssen, um dennoch eine britische Intervention in den Krieg an der Seite Russlands und Frankreichs gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zu erreichen. Die Autoren argumentieren plausibel, dass dieser Vorwand der geheime Verkauf und Transport von Waffen aus Deutschland war – in Wirklichkeit aber organisiert von Leuten aus dem britischen Establishment, die im Buch namentlich aufgeführt werden – an beide Seiten in einem sich aufbauenden irischen Bürgerkrieg (republikanische Nationalisten gegen Loyalisten aus Ulster). Dieser Bürgerkrieg drohte in den ersten sieben Monaten des Jahres 1914 auszubrechen und das britische Kabinett war bis zum 24. Juli 1914, nur 11 Tage vor Großbritanniens Kriegserklärung an Deutschland, hauptsächlich damit beschäftigt. Das ist tatsächlich ein faszinierender neuer Blickwinkel auf die britischen Aktivitäten 1914 vor dem Ausbruch des Krieges.
Die Kapitel des Buches sind kurz und zugänglich geschrieben, enthalten aber, wie akademische Bücher,
auch Endnoten, so dass die Leser selbst die Quellen nachverfolgen können, falls sie daran interessiert sind. Jedes Kapitel hat am Ende eine sinnvolle Kurzzusammenfassung der wichtigsten Punkte. Es gibt einen acht Seiten umfassenden Fotografieteil und noch einige weitere Illustrationen auf den 361 Seiten des Textes. Einer von zwei Anhängen listet die 87 «Schlüsselfiguren» in dem Geschehen auf und es gibt eine hilfreiche Bibliographie, auch wenn man darin sehr viele Texte aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg findet. Obwohl die Liste der Referenzen die Leser auch zu einigen Internet-Webseiten und jüngern Büchern führt, hätte doch die Balance zwischen Texten von vor und nach dem Zweiten Weltkrieg besser austariert sein können.
Das Buch zielt auf die allgemeine Öffentlichkeit. Während es von der Akademikerschaft wahrscheinlich ignoriert werden wird, nicht zuletzt seines ziemlich sensationalistischen «Verlegertitels» wegen und weil die beiden Autoren keine akademischen Historiker sind, sondern ein früherer Schulrektor und ein früherer Arzt, kann es durchaus einigen Erfolg in einer Öffentlichkeit haben, die zunehmend an dieser entscheidend wichtigen Katastrophe, die in so vieler Hinsicht die moderne Welt geprägt hat, interessiert ist. Trotz des nicht-akademischen Hintergrunds der Autoren ist es doch ein ernsthaftes und gut argumentierendes Buch, das durchaus fähig ist, akademische Texte in seine eigene Argumentation einzufügen. Es ist, einhundert Jahre nach dem Ereignis, eine zeitlich gut abgestimmte Ergänzung der Debatte um die Ursprünge des Ersten Weltkriegs in der englischsprachigen Welt, wo es zu wenige Bücher gegeben hat, die sich nur den Ursprüngen des Krieges gewidmet haben. Normalerweise erhält in der einschlägigen Literatur über den gesamten Krieg von Sarajevo bis Versailles die Frage nach den Ursprüngen dieses Kriegs nur ein Eingangskapitel. Das Buch ist ganz sicher ein gutes Zeichen dafür, dass nicht-akademische Schriftsteller in der englischsprachigen Welt nicht mehr bereit sind, nur die konventionelle Erzählung hinzunehmen, die von so vielen englischsprachigen Akademikern so lange aufgetischt wurde und dass sie damit beginnen, diese Erzählung wirkungsvoll in Frage zu stellen.
Eine Schwäche des Buches ist allerdings die dauernde Verwendung von Phrasen wie «die Geheimkabale» oder «die Geheimelite»; solch vage und nebulöse Ausdrücke lenken nur von der Ernsthaftigkeit des eigentlichen Arguments ab und sind unnötig, da die konspirativen Fakten und Individuen, die in dem Buch porträtiert werden, für sich selbst sprechen. Beispielsweise lesen wir auf S. 175: «Die Geheimelite ermutigte die französische militärische Invasion Marokkos nur, um eine deutsche Reaktion zu erhalten und die erwünschte internationale Krise auszulösen. » Der Leser wüsste gerne, wer genau hier was und wann gemacht hat. Während man ein Thema von der Komplexität der Ursprünge des Ersten Weltkriegs natürlich auf 361 Seiten nicht umfassend abhandeln kann und die meisten der wichtigen Episoden im Vorfeld des Krieges Erwähnung finden, gibt es auch ein paar unglückliche Auslassungen: so etwa die bedeutsame Rolle des Berlin-Korrespondenten der Times (1897-1908), George Saunders, dessen durchgehend germanophoben Berichte sehr stark zu der Verschlechterung der anglo-deutschen Beziehungen während der Zeit der größten Spannungen zwischen den beiden Ländern 1897-1908 beitrugen. Lord Salisbury und die Macht und der Einfluss seines Cecil- Blocks hätten auch mehr Aufmerksamkeit verdient. Es gibt einige Fehler, die eine sorgfältigere Redaktion wohl hätte vermeiden müssen: In Kapitel 3 wird gesagt, dass Prinz Albert, der Ehemann von Königin Victoria, über den Sieg Preußens über Frankreich 1871 erfreut gewesen wäre, während er in Wirklichkeit schon zehn Jahre früher gestorben war. Auf S. 239 wird Eyre Crowe 1913 als Sir Edward Greys «Staatssekretär» bezeichnet, während er in Wirklichkeit Vizestaatssekretär unter Sir Arthur Nicolson, dem ständigen Staatssekretär, war; Crowe wurde erst 1920 ständiger Staatssekretär. Die an sich starke Argumentation in Kapitel 12, wie Lloyd George durch die Kabale manipuliert wurde, erklärt aber nicht, warum die Kabale 1911 nicht fähig war, die Erosion der Macht des Oberhauses durch die Regierung zu verhindern.
Wenn die Kabale tatsächlich so stark war und so viele Fäden in der Hand hielt, dann ist eine offensichtliche Frage: warum waren sie in diesem Falle machtlos? Gelegentlich bleiben auch andere auf der Hand liegende Fragen unbeantwortet oder wurden vielleicht nicht erkannt. In Kapitel 17 heißt es beispielsweise, «dass 1901 J.P. Morgan [Sir Alfred] Milner das für damalige Verhältnisse sehr große Einkommen von $ 100.000 jährlich anbot, wenn dieser Partner bei der Londoner Tochterfirma von J.P. Morgan würde, aber Milner wollte sich nicht von der essentiellen Aufgabe [der Führung] des Burenkrieges abbringen lassen.» (S. 214) Da das Buch öfter auf Morgans Verbindung zur Geheimelite Beziehung nimmt, muss man den Leser entschuldigen, der sich dabei fragt: wenn Milner so wichtig für den Burenkrieg und der Burenkrieg so wichtig für die Pläne der Kabale war, warum hat dann Morgan, eine zentrale Figur der Kabale, versucht, Milner von der Stelle, wo er den Krieg in Südafrika übersehen konnte, wegzulotsen?
Das Buch schließt mit einer zwingenden Analyse von Sir Edward Greys berühmter Parlamentsrede vom 3. August 1914. Es nennt sie «die Rede, die eine Million Tote kostete», da sie die einzige öffentliche Rechtfertigung der Position der Regierung war, die den Repräsentanten des britischen Volkes vor der Kriegserklärung gegeben wurde. Dem Parlament wurde im Anschluss nur eine ganz kleine Debatte ermöglicht. Während dieser kurzen Debatte am Abend des 3. August verdammte der Abgeordnete Percy Molteno das Verhalten der Regierung, indem er sagte: «Sie sollten den Menschen im Lande eine Gelegenheit geben, selbst zu entscheiden. Das ist eine Fortsetzung jenes alten, katastrophalen Systems, wo ein paar Menschen im Besitz der Staatsmaschinerie, die die ganze Macht des Staates dirigieren können, geheime Verpflichtungen eingehen und geheime Abmachungen treffen, die sorgfältig vor der Kenntnis des Volks, das wie eine dumpfe Kuhherde ohne eigene Stimme bleibt, geheim gehalten werden.» Hidden History – The Secret Origins of the First World War beansprucht, diese geheimen Verpflichtungen und geheimen Abmachungen und die Männer, die sie machten, zu enthüllen und es macht, alles in allem, keine schlechte Figur dabei.
Terry Boardman, Stourbridge (England)
[Übersetzung ins Deutsche: Andreas Bracher]
Anmerkungen:
1 S. dazu die Rezension von Andreas Bracher auf Seite 14
2 Gerry Docherty und Jim Macgregor, Hidden History (Die verborgenen Ursprünge des Ersten Weltkriegs), Edinburgh und London 2013, Auszüge aus der Einleitung.
3 Eine deutsche Teilübersetzung von Quigleys Tragedy and Hope erschien beim Perseus Verlag, Basel unter dem Titel Katastrophe und Hoffnung.