Konferenz: «1914–2014 – Lügen, Fakten, Perspektiven»

logo1914-2014Ankündigung für die Konferenz zum Hundertjährigen (3×33 1⁄3) Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Daten: 27-29. Juni 2014 in Budapest

Hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist dieses Ereignis in vieler Hinsicht ein Rätsel und ein Alptraum geblieben. Dieser Krieg war der bis dahin bei weitem größte und zerstörerischste in der Geschichte der Menschheit, ein Ereignis von einer fast unvorstellbaren Dimension, und brachte eine schreckliche materielle, seelische und geistige Verwüstung Europas in seinem Gefolge. Die Diskussion über ihn wurde vor allem von den ihm nachfolgenden “Friedens”-Verträgen bestimmt und hat sich auf die Frage der “Schuld” an seinem Ausbruch konzentriert. Dabei scheinen um das jetzige Jubiläum herum manche lange festgefügten Urteile bzw. Vorurteile in Auflösung zu kommen.

Die Konferenz wird sich einerseits mit der Geschichte und Vorgeschichte des Weltkriegs befassen und möchte dazu unbekannte oder wenig bekannte Tatsachen und Tatsachenzusammenhänge darstellen. Sie wird dabei besonders die Politik der Ententemächte, der gegen Mitteleuropa kämpfenden Koalition, in einem manchmal vielleicht ungewohnten Lichte erscheinen lassen und will aufzeigen, welche Kräfte eigentlich hinter dieser Politik standen. Auf der Seite der späteren Sieger war der Erste Weltkrieg ein Ursprungsereignis, in dem ein noch heute auf der Erde tonangebender Machtimpuls zum Vorschein gekommen ist. Insofern wird sich die Konferenz in einem Seitenstrang auch mit dem Fortwirken dieses Machtimpulses bis zu den Ereignissen vor und nach dem 11. September 2001 befassen.

Ein spezieller Fokus soll auch auf dem Attentat vom 28. Juni 1914 liegen, das den Weltkrieg letztlich ausgelöst hat. Nach Rudolf Steiner war der Mord von Sarajewo ein «so wohldurchdachte[s], großangelegte[s] Attentat, wie überhaupt noch keines in der Weltgeschichte da war». Das widerspricht der heute vorherrschenden Geschichtsschreibung, soll aber in der Konferenz plausibel werden.

Insgesamt möchte die Konferenz sich nicht so sehr auf die Schuldfrage fokussieren, als dahin wirken, aus der Behandlung des Ersten Weltkriegs tragfähige Zukunftsimpulse für das heutige Europa frei setzen zu können.

Der Charakter der Konferenz zeigt sich schon in den Namen der Referenten: Terry Boardman, Andreas Bracher, Zoltán Döbröntei, Attila Ertsey, Michael Kaiser, Thomas Meyer, Markus Osterrieder, Richard Ramsbotham and Franz-Jürgen Römmeler. Die Artikelserie “1914-2014: Lügen – Fakten – Perspektiven” in der Monatszeitschrift Der Europäer im Perseus-Verlag hat Materialien und Themen in der Art vorgestellt, wie sie bei der Konferenz zur Sprache kommen werden und weitere Themen in Form von Plenum-Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Parallel-Seminaren und in Form einer Ausstellung, Musik und Drama-Aufführungen.

Die Konferenzsprachen sind Deutsch, Englisch und Ungarisch.

Praktische Informationen wie auch Literaturempfehlungen hier und auf der ungarisch-sprachigen Konferenz-Website, sowie auf den Web-Seite von Szabad Gondolat

Die Konferenz ist auch auf Facebook: www.facebook.com/19142014conference

Allgemeine Information (Mail): info@1914conference2014.com

Anmeldungen per Mail an:
Deutsche Korrespondenz: kontakt@1914conference2014.com
Englische Korrespondenz: contact@1914conference2014.com
Ungarisch Korrespondenz: kapcsolat@1914conference2014.com

Oder per Post an die Adresse:
Ita Wegman Alapítvány
«Konferencia»
Bláthy Ottó u. 41., H-1089 Budapest

Die Konferenz ist organisiert durch den Perseus Verlag, Basel; mit der Ita Wegman Stiftung, Budapest und Kós Károly Stiftung, Ungarn.

 


 

3×331/3 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs

Die Internationale Konferenz «1914-2014 – Lügen, Fakten, Perspektiven» in Budapest (27. – 29. Juni 2014)

Bericht eines ungarischen Teilnehmers

In der ungarischen Hauptstadt, in einem Milieu und einer Kultur, die Vergangenes mit Künftigem verbinden, fand eine großangelegte, internationale Tagung statt. Den äußeren Anlass gab der Weltkriegsausbruch vor 100 Jahren – den inneren: das Suchen und Erforschen der Hintergründe unseres Zeitgeschehens. Auf dem Boden der Geschichtsforschung Rudolf Steiners und verbunden
urch diesen, wurden hier individuelle und gemeinschaftliche Früchte historischer und gedanklicher Detektiv-Arbeit und künstlerischen Bemühens mitgeteilt. Nicht bloß Aussagen, sondern auch Fragen, die uns, als Gegenwartsmenschen, kaum unberührt lassen können.

AUDIENCE

LECTURE

Dass der Tagung zwei Jahre Planung und intensive, interne Arbeit auf Seiten der Veranstalter (Ita Wegman Alapítvány und Kós Károly Alapítvány, Budapest / Perseus-Verlag und -Förderverein, Basel) vorangingen, konnte man an der Architektonik der Konferenz und der Substanz der Beiträge merken. Die breitgefächerte Thematik erhielt eine dreigegliederte Form: am 27. 06. hat man auf die geschichtliche Bedeutung des Ersten Weltkrieges und seine Vorgeschichte geschaut; ferner die Wirkungen und die Kontinuität von Lügen aufgezeigt, die bis heute andauern (A. Ertsey, Th. Meyer, M. Osterrieder). Der Gedenktag, der 28. 06., wurde den gewichtigsten Punkten und Fragen gewidmet, mit der Komplexität geisteswissenschaftlicher Betrachtungsweise und aktiver Einbeziehung der Zuhörer   (T. Boardman, A. Bracher, A. Ertsey, M. Osterrieder, Fr. J. Römmeler, Z. Döbröntei, M. Kaiser, Th. Meyer). Am dritten Tag folgte ein Versuch: die mögliche Auflösung der Lügen und die Aufgaben
der Gegenwart für Mitteleuropa und die ganze Welt zu formulieren (M. Osterrieder, E. Heresch, Th. Meyer, A. Ertsey).
Neben den Rednern hat man auch dem künstlerisch Erarbeiteten reichlich Raum geboten. Es gab
folgende Darbietungen: die eröffnende, sehr gelungene eurythmische Bearbeitung von Béla Bartóks Cantata profana mit Oberstufen-Waldorfschülern; eine Bilder-Ausstellung «Nur aus der reinen Quelle» von der Freien Kunstakademie Napút (Sonnenweg), mit einer lebhaften mündlichen Schilderung des künstlerischen Ringens über ein ganzes Jahr hindurch um die schwere Thematik: «Weltkrieg» – die Werkstatt-Première des vielschichtigen Stückes Rewinding the War (R. Ramsbotham / G. Paccagnella), welches sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit spielte und Strukturen persönlicher und gemeinschaftlicher Schicksale konturierte – feinste englische Schauspielkunst mit wachsamer, spiritueller Substanz; die mit Kostümen aufgeführte künstlerische Dokumentation Pfingsten in Deutschland (Th. Meyer), welche die Umstände der Veröffentlichung von Generalstabschef Helmuth von Moltkes Aufzeichnungen über den Kriegsausbruch 1914 und deren Vereitelung zeigte und die Folgen dieses Scheiterns im 20. Jahrhundert vergegenwärtigte – objektive Hingabe, gepaart mit sicherer Textbeherrschung und temperamentvoller Darstellung. Der Beifall war begeistert.

Sowohl der Tagungsort, das unlängst prachtvoll renovierte und vornehme MOM Kulturzentrum, als auch die praktische Abwicklung der Konferenz waren für viele ausländische Teilnehmer positiv überraschend. Neben professioneller Simultanübersetzung (HU, DE, EN), haben Waldorfschüler die Registrierung und den Empfang der ca. 350 Tagungsgäste liebevoll betreut. http://1914conference2014.com/ (Weiterer Konferenzbericht in Vorbereitung)

Peter Barna, Budapest/ Dornach

 

 

 Anmerkung der Redaktion

Peter Barna wurde auch von der Redaktion der Wochenschrift Das Goetheanum aufgefordert, über die Budapester Konferenz einen Bericht einzusenden. Die Redaktion bat ihn um eine zweite, gekürzte Fassung, welche Barna auch anfertigte. In der Ausgabe Nr. 31-32 vom 1. August 2014 publizierte Das
Goetheanum, ohne Rücksprache mit dem Verfasser, unter dem nicht von ihm stammenden Titel «Erkenntnisfest?», einen unglücklichen Mix beider Fassungen. Beim oben wiedergegebenen Bericht handelt es sich um die längere Fassung. Sie wurde im Einvernehmen mit dem Autor an keiner Stelle inhaltlich, sondern da und dort lediglich grammatikalisch und stilistisch geringfügig redigiert.

 


 

Bericht von Andreas Bracher

Die Konferenz, die vom 27.-29. Juni 2014 stattfand, war ein durchaus ungewöhnliches, in mancher Hinsicht riskantes Unternehmen. Ihre meisten und wichtigsten Redner und Vortragenden kamen aus dem westlichen Ausland (Deutschland, Schweiz, Österreich, Großbritannien und USA). Bei den Teilnehmern gab es zwar ebenfalls ein recht gewichtiges Segment aus Westeuropa (dem deutschsprachigen Raum, Belgien, Dänemark, Norwegen, England etc.), der bei weitem größte Anteil kam aber aus Ungarn. Als Veranstalter traten die Ita-Wegman Stiftung, Budapest, und der Perseus Verlag, Basel, gemeinsam auf. Attila Ertsey und Orsolya Györffy traten für beide als Persönlichkeiten auf, die die Konferenz einleiteten und Diskussionen moderierten. Um die sprachlichen Schwierigkeiten zu überbrücken, gab es professionelle Simultandolmetscher, die in die drei Konferenzsprachen Ungarisch, Englisch und Deutsch hin- und herübersetzten. Diese Übersetzungen von Dolmetschern, die der anthroposophischen Materie nicht immer ganz gewachsen waren, waren nicht ohne Probleme, aber sie ermöglichten doch eine jeweilige Teilnahme an den verschiedenen Vorträgen und Seminaren. Die Konferenz fand in einem Konferenzcenter in Buda, d.h. dem westlich der Donau gelegenen Teil Budapests statt, in einer schönen Umgebung und in geeigneten Räumlichkeiten. Der Zuspruch zur Konferenz war mit 300-400 Teilnehmern sehr gut. Es war erstaunlich, dass die Teilnahme trotz des sehr gedrängten Programms – Veranstaltungen am Samstag etwa gingen von 9 Uhr morgens bis nach 10 Uhr abends – auch am Sonntag kaum abbröckelte. Das spricht für das intensive, auch inhaltliche Interesse, das der Konferenz entgegengebracht wurde.

von links nach rechts: Michael Kaiser, Andreas Bracher, Franz-Jürgen Römmeler, Thomas Meyer, Zoltan Döbröntei, Attila Ertsey

von links nach rechts: Michael Kaiser, Andreas Bracher, Franz-Jürgen Römmeler, Thomas Meyer, Zoltan Döbröntei, Attila Ertsey

von links nach rechts: Attila Ertsey, Markus Osterrieder, Terry Boardman, Richard Ramsbotham

von links nach rechts: Attila Ertsey, Markus Osterrieder,
Terry Boardman, Richard Ramsbotham

Die Konferenz vereinigte durchaus heterogene Teilnehmer und manchmal widersprüchliche oder widersprüchlich scheinende Thesen und Motive. Allen Vortragenden gemeinsam aber waren zum einen eine grundsätzliche Inspiration durch die Arbeit Rudolf Steiners und durch seinen Blick auf den Weltkrieg; zum anderen ein Blick, durch den alle mit dem Weltkrieg zusammenhängenden Themen, alle daraus hervorgegangenen «Gewinne» und «Verluste» für Europa eigentlich heute neu verhandelt werden müssen. Insofern war die Konferenz insgesamt von einem Drang nach «Revision» beherrscht, wenn man das in keiner Weise politischterritorial oder im Sinne einer nationalen Aufrechnung versteht. Es ging aber um «Revision» vorherrschender, von den Siegern herstammender, lügenhafter oder verschleiernder Sichtweisen auf den Weltkrieg, schließlich sogar um Revision des politisch-historischen Blicks auf die Ereignisse überhaupt und um eine Einbeziehung spiritueller Gesichtspunkte in ihre Betrachtung. Wenn die heutige Welt einen mehr problematischen Blick auf jene Impulse verlangt, die mit dem «Westen» und der «Globalisierung» eigentlich zur Herrschaft gekommen sind, so muss sich auch eine Art ursprünglicher Durchbruch dieses Impulses, wie es der Erste Weltkrieg war, in einem anderen Lichte zeigen.

Zoltan Döbröntei und Attila Ertsey

Zoltan Döbröntei und Attila Ertsey

Michael Kaiser, Andreas Bracher, Franz-Jürgen Römmeler

Michael Kaiser, Andreas Bracher, Franz-Jürgen Römmeler

Man kann etwas von der Konferenz charakterisieren, wenn man einige grundlegende Motive der Vorträge ihrer drei wichtigsten Redner charakterisiert. Markus Osterrieder beschäftigte sich vor allem mit dem Zusammenleben der Völker zwischen Deutschen, Russen und Türken, d.h. in Ostmittel- und Südosteuropa. Er schilderte diesen Raum als einen, in welchem vor 1914 das komplizierte Völkerzusammenleben zugleich den Einzelnen in eine Situation brachte, in der ein Streben über das bloß Nationale hinaus, ein Streben nach
allgemeinem Verständnis und nach Individualität, angeregt wurde. Rudolf Steiner hat dieses Streben für ein Charakteristikum der mitteleuropäischen Völker, zu denen er von den Deutschen bis zu den Ruthenen (Ukrainern), die meisten Völker der Habsburger Monarchie rechnete, erklärt. Die Habsburger Monarchie hat bis 1914/18 einen politischen Raum für diese Art der Seelenentwicklung bereit gestellt. Das wurde durch den seit dem neunzehnten Jahrhundert immer stärker werdenden Nationalismus konterkariert, der dann 1918 auch zum Zusammenbruch der Habsburger Monarchie geführt hat. Osterrieders Vorträge wirkten wie ein Plädoyer dafür, das alte Völkerzusammenleben vor 1914 in seiner menschheitlichen Bedeutung (und Schönheit) zu erkennen und dafür zu arbeiten, dass ein ähnliches Element auch im zukünftigen Völkerleben im ostmitteleuropäischen Raum wieder zum Tragen kommen kann.

Terry Boardmans Beiträge kreisten ganz um die englische (und anglo-amerikanische) Seite in der Vorgeschichte des Weltkriegs. Schneidende Kritik der englischen Politik verband sich dabei mit einer tiefen, in intime Details gehenden Kenntnis der in Frage kommenden Kreise und Milieus. Im Zentrum standen etwa Persönlichkeiten wie Arthur Balfour, seit 1903 Haupt der Cecil-Familie und der Konservativen Partei und Edward Grey, der den Liberalen angehörende Außenminister der Jahre 1905-1916, eine entscheidende
Figur beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Boardman ließ keinen Zweifel, dass er die englische Politik für die eigentlich entscheidende, die entscheidenden Weichenstellungen vornehmende im Vorfeld des Weltkrieges hält. Dabei stand politisch, Boardman zufolge, noch mehr die Feindschaft zu Russland als diejenige zu Deutschland im Zentrum der britischen Politik. Das Bündnis mit Russland seit 1907 war demzufolge mehr ein scheinbares, dessen Notwendigkeit paradoxerweise gerade durch diese Feindschaft geboten wurde. Zugleich zeigte sich britischen Eliten in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg die Möglichkeit eines zukünftigen anglo-amerikanischen Weltkondominiums, einer Weltherrschaft der englisch-sprechenden «Rasse». Der amerikanische Kriegseintritt 1917 war ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung dieser Konstellation.

Thomas Meyer betonte in seinen Vorträgen die Kontinuität einer Politik der Lüge vom Ersten Weltkrieg bis heute – mit einem Ereignis wie dem 11. September als einem Markstein in der neueren Zeit. Lügen haben die Darstellung des Ersten Weltkrieges von ihrem Beginn an geprägt und haben sich bis heute zu einem gewaltigen astralen Gebilde ausgewachsen – einem Gebilde, das zutiefst einschüchternd auf alle wirkt, die sich diesen Ereignissen wahrheitssuchend zu nähern versuchen. Meyer zeigte, wie alleine eine geisteswissenschaftliche Begrifflichkeit und Anschauung in dieser Lage fähig ist, den Menschen eine wirklich orientierende, zur Wahrheit führende Erkenntnis zu
vermitteln. Er betonte, wie sehr diese Ereignisse und überhaupt das Phänomen des «Bösen» in der Politik nicht alleine Gegenstand einer historisch-politischen, sondern auch einer spirituellen Betrachtung sein müssen. Sie sollen zu einem Aufruf an die Menschen werden, sich dem Spirituellen, dem Geiste, zuzuwenden. Zentral für den Ersten Weltkrieg und darüber hinaus ist in einer solchen Perspektive die Gestalt von Helmuth von Moltke d.J. (1848-1916), dem preußisch-deutschen Generalstabschef bei Beginn des Weltkriegs. Moltke war ein Mann, der an vorderster Front im politisch-militärischen Leben seiner Zeit stand, sich aber doch unter den größten inneren Kämpfen auch dem spirituellen Leben und der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners zuwandte. Jene Briefe, in denen Rudolf Steiner Moltkes Witwe die nachtodlichen Gedanken- bzw. Geisteserlebnisse ihres Mannes beschrieb, bilden eine bedeutendste Anregung für eine derartige Betrachtungsweise im
Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und das Verständnis der Lage Europas seitdem.

Eurythmiegruppe der Budapester Waldorfschule, Leitung: Mátyás Tutós

Eurythmiegruppe der Budapester Waldorfschule, Leitung: Mátyás Tutós

An diese Hauptthemen und -motive schloss sich ein Kranz weiterer Themen an, die in Seminaren oder Vorträgen abgehandelt wurden: dazu gehörten Erörterungen über die Kunst der letzten hundert Jahre (von Zoltán Döbröntei), über die Entwicklungen im internationalen Finanzsystem, das gewissermaßen das wichtigste Zwangssystem einer Politik der Lüge bildet (Franz-Jürgen Römmeler), eine Darstellung wenig bekannter Vorgänge in der Geschichte des österreichischungarischen Grenzraums im 14. Jahrhundert, in der sich ein Fortwirken des offiziell unterdrückten Templerimpulses manifestierte (Michael Kaiser), Erörterungen über Nationalstaatsideal, Nationalismus und fehlgeleitete Formen der Internationalisierung als Folgen der Siegerideen im Ersten Weltkrieg mit einem Blick auf die Dreigliederung (Andreas Bracher), Erörterungen von Attila Ertsey über die Situation in Ungarn. Die österreichische Historikerin Elisabeth Heresch sprach als Gast über die Charaktere und das Verhältnis der beiden Kaiser Nikolaus II. von Russland und Wilhelm II. von Deutschland.

Für das Ambiente der Konferenz sehr wesentlich waren schließlich auch künstlerische Elemente, die einer einseitigen Intellektualisierung entgegenwirkten. Es gab eine Ausstellung von Werken der ungarischen Kunstakademie «Napút», die von Zoltán Döbröntei (der auch als Redner auf der Konferenz auftrat) geführt wird, eine Eurythmieaufführung einer einheimischen Eurythmiegruppe zur Musik Bela Bartoks und noch weitere musikalische Darbietungen. An den beiden Konferenzabenden fanden jeweils Theateraufführungen statt: Am Freitag die Uraufführung von Rewinding the War, eines work in progress von Richard Ramsbotham, halb Dokumentardrama über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, halb Parallelhandlung in der heutigen Zeit spielend. Ähnliche Motive wie im Vortrag Terry Boardmans über die Vorgeschichte des Weltkriegs kamen dabei zum Tragen und ebenso wie dort gab es eine brillante Darstellung einer englischen Oberschichtsmentalität aus intimer Kenntnis heraus. Am Samstag gab es eine Aufführung von Thomas Meyers Die Schuld am Kriege, einem Drama um die (exemplarischen) Vorgänge bei der gescheiterten Veröffentlichung der Erinnerungen Helmuth von Moltkes 1919, mit der Rudolf Steiner damals eigentlich der internationalen Festlegung einer deutschen Schuld am Weltkrieg hatte entgegenwirken wollen. Insgesamt hinterließ die Konferenz bei einem großen Teil der Teilnehmer offenbar einen Eindruck, der sich im Bedürfnis nach irgendeiner Art der Fortsetzung, Verstetigung gemeinsamer Arbeit o.ä. äußerte.

Andreas Bracher, Cambridge (USA)


 

Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs und die heutige Lage Europas

Es sollen hier zwei Aspekte zu einem grundlegenden Verständnis des Ersten Weltkriegs, was er war und was er in der Geschichte der Menschheit bedeutet, hervorgehoben werden:

1. Der Durchbruchskrieg des «Westens» und die Weltdominanz der englisch sprechenden Völker

Der Erste Weltkrieg war der Durchbruchskrieg der Weltordnung des Westens, der Welt der Globalisierung, wie sie heute besteht.
Diese Weltordnung könnte man auch als ein Weltregime der englisch sprechenden Zivilisation bezeichnen. Institutionen, institutionelle Vorkehrungen, Usancen und Denkweisen, die in der englisch sprechenden Zivilisation entwickelt wurden, haben sich dabei über die gesamte Menschheit ausgedehnt. Dazu gehören die moderne Naturwissenschaft, wo sie einem reinen Nominalismus verpflichtet ist;
das politische Denken, wie es aus den angelsächsischen Umwälzungen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts hervorgegangen ist; das moderne Wirtschaften und Bankenwesen; das Erziehungswesen mit der außerordentlichen Weltstellung der angelsächsischen Privatschulen und Universitäten; das Medienwesen etc. Die englische Sprache hat innerhalb dieses Systems den Charakter der allgemein verbindenden und in allen Bereichen führenden Weltsprache angenommen. Die politische Führungsstellung dieser Zivilisation wird in der Sonderstellung der USA im heutigen Weltsystem greifbar. Sinnfällig ist sie auch in dem unlängst bekannt gewordenen weltweiten Spionagesystem der «Five Eyes» geworden. Diese «fünf Augen», die sich untereinander als die einzig voll vertrauenswürdigen Länder behandeln und offenbar eine Gesamtkontrolle der Menschheit anstreben, sind die fünf englisch sprechenden Kern-Staaten Neuseeland, Australien, Kanada, USA und Großbritannien.

Der Erste Weltkrieg ist jener Durchbruch gewesen, in dem sich diese westliche Zivilisation aus ihrem Verpuppungsstadium innerhalb der alteuropäischen Zivilisation gelöst und zu Herrschaftshöhen aufgeschwungen hat, während sie zugleich das alte Europa in eine untergeordnete Stellung zurück gedrückt hat.

In England selbst, bei den englischen politischen bzw. politisch-okkulten Eliten war die Situation in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg besonders von zwei Gesichtspunkten bzw. Wahrnehmungen geprägt:

a) Zum Einen von dem relativen Niedergang Großbritanniens, das – als Ursprungsland der industriellen Revolution – nach dem Sieg über das revolutionär-napoleonische Frankreich 1815 eine Zeit einer fraglosen Weltdominanzrolle erlebte. Das britische Empire wurde im neunzehnten Jahrhundert in seiner territorialen Ausdehnung zum größten Reich in der Menschheitsgeschichte. Großbritannien, ein kleines Inselreich, war die größte Industrie- und Wirtschaftsmacht der Welt. Seine Flotte beherrschte die Weltmeere, seine Kaufleute den Welthandel und seine Finanzmänner die Finanzströme der Welt. Im Vergleich zu dieser Stellung, wie sie etwa 1850 bestand, kam England in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg in einen relativen Niedergang. Die USA überholten das Königreich in Bezug auf Industrieproduktion und Wirtschaftskraft und 1913 hatte auch das aufstrebende Deutsche Reich das Vereinigte Königreich überholt. Beides waren größere, bevölkerungsreichere Länder, wie auch das ebenfalls aufstrebende Russland. In den neuen Industrien, Elektrotechnik und Chemie, wurde dieses NachhinkenGroßbritanniens noch offenbarer. Und andere Länder – die USA, das Deutsche Reich, Japan, Russland – legten Flottenbauprogramme auf, welche die britische Führungsstellung auf den Weltmeeren zumindest einschränkten und erwarben Kolonien, mit denen diese Flotten auch weit von ihren Heimathäfen entfernt unterhalten werden konnten.

Dieser relative Niedergang wurde in den britischen Eliten der Zeit um 1900 stark besprochen. Er führte dazu, dass sich das Land weltpolitisch neu ausrichtete. Letztlich führte er dazu, dass das Land den einen der größten neuen Konkurrenten, Deutschland, zum Feind erklärte und den anderen, die USA, zum Verbündeten und zu einer Art Nachfolger in der eigenen Weltstellung machte. Ein anderer Konkurrent, Russland, wurde in ein Bündnis hineingelockt, mit dem man es zugleich seinem Untergang entgegenführen konnte.

b) Der andere Aspekt in der Wahrnehmung vor dem Ersten Weltkrieg war das wachsende Bewusstsein, dass Großbritannien der Ausgangspunkt und das Zentrum einer Zivilisationswelle von großer Signifikanz war – der Ausbreitung der Engländer als Kolonisatoren über große Teile der Welt und noch darüber hinaus der Ausdehnung einer englisch geprägten Zivilisation. Jemand wie der amerikanische
Präsident Theodore Roosevelt (1856-1919) etwa sah in der Ausbreitung der englisch sprechenden Menschen über die Erde
hin (nicht in derjenigen der Europäer überhaupt) seit dem siebzehnten Jahrhundert die wichtigste Tatsache der neueren Weltgeschichte. Der wichtigste Hintergrund dieser Wahrnehmung war wohl der phänomenale Aufstieg der Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg gab es starke Bemühungen, aus der potentiellen Einheit, die in dieser Konstellation lag, eine tatsächliche, auch politische Einheit zu schmieden. Eine solche Einheit, Einigkeit der englischsprachigen Nationen – Großbritannien,
Neuseeland, Australien, Südafrika, USA, Kanada – in der Welt würde eine präzedenzlose politische Macht schaffen, die der übrigen Welt ihre Bedingungen würde diktieren können, die eine Art Friedensreich würde schaffen können. Das war von der Überzeugung geprägt, dass die Herrschaft der englisch sprechenden Völker das Beste für die Menschheit wäre, dass in jenen Ländern die höchste zivilisatorische Kraft und das höchste zivilisatorische Niveau erreicht seien.

In diesem Zusammenhang wird man auch beispielsweise den Burenkrieg 1899-1902 sehen müssen, der Südafrika zu einem Glied in dieser Kette hätte machen sollen (was er dann allerdings auf längere Dauer doch nicht vollständig vermochte). Der amerikanische Kriegseintritt 1917 war das entscheidende, säkulare Erfolgserlebnis dieser Leute im Ersten Weltkrieg, er war aus dieser Sicht das entscheidende, zentrale
Resultat des Weltkriegs, sein «Sinn». In gewissem Sinne war der Weltkrieg hier nötig gewesen, um jenen dramatischen Hintergrund, jene Notsituation zu schaffen, die benötigt wurde, um jene Einheit der englischsprachigen Länder politisch-militärisch tatsächlich zu aktualisieren.

In England zählten zu den Protagonisten solcher Überlegungen in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg etwa die Kreise, die sich um Alfred Milner (1854-1925), den zeitweiligen britischen Hochkommissar in Südafrika, scharten, König Edward VII. (1841-1910, König von 1901-1910) und seine Entourage, oder Arthur Balfour und seine Entourage. Balfour war seit dem Tode Lord Salisburys 1903 das Haupt
der Cecil-Familie, der bedeutendsten politischen Familie Englands und der Führer der Konservativen Partei. Er war kurzzeitig Premierminister und in der entscheidenden Zeit des Ersten Weltkriegs, 1916-1918, Außenminister.*

Diese englisch dominierte Weltzivilisation hat sich dann seit 1914, 1917 und 1919 in immer höherem Maße tatsächlich der Welt aufgeprägt. Sie hat sich erst durch die Polarität mit den Deutschen und dann, von 1945 bis 1989, durch die Polarität mit dem Kommunismus, aufgebaut. Seit 1919 und dann verstärkt am Ende des Zweiten Weltkriegs 1944-1948, hat sie Institutionen geschaffen (z.B. UNO, Weltbank, IWF, WTO,
Internationaler Strafgerichtshof etc. etc.), in denen sich ihre Werte und Interessen, ihre Denkstrukturen, ihr Verständnis von Gut und Böse, als weltweit verbindlich niedergelegt haben. Sie hat in den Polaritäten ihr eigenes Profil geschärft und ihre eigenen Muster von Gut und Böse entwickelt. Sie versteht sich selbst gewöhnlicherweise als «der Westen». Besonders seit 1989, in der seitdem herrschenden Ära der Globalisierung, hat sie ihre Menschheitsverbindlichkeit in erhöhtem Maße durchgesetzt. Ihre Herrschaftsausübung geschieht hauptsächlich dadurch, dass sie es versteht, in vielen Ländern Menschen an die Spitzen zu bringen, die sich diesem westlichen System in einem hohen Maße verpflichtet fühlen – üblicherweise mehr, als das für die jeweilige Bevölkerung gilt. Die Herrschaftstechnik des Westens besteht in der Kunst, einen solchen Einfluss auf bzw. Eingriff in die Gesellschaften auszuüben, dass solche westlich gesinnten Menschen tatsächlich nach oben kommen, während dem Westen kritisch oder ablehnend gegenüber stehende oder für ihn schwer zu gebrauchende Menschen unten gehalten werden.

2. Das Ende des «Alten Europa»

Das Andere ist, dass der Erste Weltkrieg der Untergang des Alten Europa war, jener Kulturkontinuität, die sich seit dem Frühen Mittelalter, d.h. dem 8. oder 9. Jahrhundert gebildetund aufgebaut hatte. Inzwischen, heute, hat sich selbst im akademischen Sprachgebrauch eingebürgert, dass man vom «Alten Europa» redet, wenn man das Europa von vor 1914 oder 1945 von dem heutigen unterscheiden möchte. Mit dieser Redeweise wird angezeigt, dass auch hier ein Bewusstsein und ein Empfinden dafür herrscht, dass das europäische Leben seit 1945 eigentlich nicht mehr in einer vollen Kontinuität zu dem steht, das bis 1914 herrschend gewesen war, dass der Zugang zur älteren europäischen Kultur eigentlich heute abgeschnitten ist, dass Europa seitdem auf ein anderes Gleis geschoben worden ist. Etwas Anderes ist seitdem herrschend geworden und dieses Andere konnotiert sich in der Rede vom «Westen», dem heute Europa zugehört und der eine aggressiv-imperiale, die Welt bestimmen wollende Formation ist, die ihr eigentliches Nervenzentrum in den englischsprachigen Ländern hat. Dieser «Westen» ist etwas anderes als einfach nur die Fortsetzung des «Alten Europa», aus dem er hervorgegangen ist. Er ist eine Konstellation, die seit etwa dem 16. Jahrhundert emporgekommen ist und die im Zeitalter der Weltkriege nicht ihren Untergang, sondern ihren großen Triumph und Durchbruch sieht und feiert. Ein Angelsachse, Dean Acheson, amerikanischer Außenminister der Jahre 1949-1953, konnte seine Memoiren über die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ekstatisch und triumphalistisch «Bei der Schöpfung dabei» (Present at the Creation) nennen, einem eigentlichen Europäer wären sie nur als leere Jahre nach der totalen Katastrophe erschienen.

Es ist merkwürdig-bedeutsam, wie in den von Rudolf Steiner vermittelten Offenbarungen einer der zentralen Protagonisten des Weltkriegsgeschehens, Helmuth von Moltke d.J., der deutsche Generalstabschef bei Beginn des Weltkriegs, karmisch mit diesem Aufstieg und Untergang des Alten Europa verbunden erscheint. Diese Individualität war als Papst Nikolaus I. im 9. Jahrhundert wesentlich damit verbunden, den europäischen Westen vom europäischen Osten abzutrennen. Sie hat im Westen bzw. in der europäischen Mitte jenen Zug mit inauguriert, der dann das ganze nachfolgende Jahrtausend bestimmt hat: der Verlust der Beziehung zur geistigen Welt wird kompensiert durch die Herausbildung des Dogmas und den Glauben, der von der Kirche in Form von Katechismen vermittelt wird. Die bisher kosmische Intelligenz (an der die Menschen partizipierten und zu der sie aufblickten) zieht in die individuellen Menschenwesen ein. Es wird die individuelle menschliche Intelligenz in Auseinandersetzung mit der materiellen Welt entwickelt. Die menschliche Kultur wird immer materialistischer, zugleich findet aber erst eine eigentliche Individualisierung, eine Herausbildung der menschlichen Individualität, eine Stärkung des menschlichen Ich, statt. Es entstehen die moderne Naturwissenschaft und zugleich Soziallehren, die sich auf dem Individuum, den Rechten des Individuums, Ideen der Gleichheit begründen.

Die Entscheidung zum Krieg 1914 war für diese Individualität an der Oberfläche rein militärisch motiviert. Sie war aber zugleich – in einer an der Oberfläche der Ereignisse kaum sichtbaren Weise – eine Entscheidung, diese Jahrtausend- Strömung, die ihre Schuldigkeit getan hatte, wieder zu beenden: eine Beziehung zur geistigen Welt wird wieder möglich, ebenso eine Verbindung zum Osten; das materialistisch verhärtete Europa von 1914 wird in eine Art Auflösungskatastrophe verwickelt. «[860] entstand die Strömung, die wir schließen mussten 1914. Sie hat einen Anfang genommen im neunten Jahrhundert; sie musste sterben im zwanzigsten», heißt es dementsprechend in den Moltke-Dokumenten. Der europäische Materialismus hatte um 1914 eine Form gewonnen, in der seine Mission ganz erfüllt und eine Weiterentwicklung nur noch zum Schlechteren möglich war. Dieser Materialismus musste in die Auflösung getrieben werden, wenn überhaupt irgendeine Möglichkeit für einen geistigen Aufschwung der Menschheit wieder gefunden werden sollte: «Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts und dem Anfang des zwanzigsten war daher Europa ganz materialistisch, soweit das öffentliche Leben in den Staaten in Betracht kam. … Jetzt ist die materialistische Welle im Zerschellen. Und das Zerschellen wird noch weiter gehen. Die Zuckungen des Materialismus müssen sich ganz ausleben. (…) Aus Keimen muss die Welt neu entwickelt werden, die bisher nicht von der Welt gesehen werden wollten, aus
Geist-Keimen. … Wie eine Episode wird das materialistische Zeitalter sein, wenn die neue Geistsonne einmal der Menschheit leuchten wird.» Oder: «Die Stunden der Entscheidung [gemeint sind hier die Entscheidungsstunden der Marneschlacht Anfang September 1914] stehen vor meinem Ich. Dies Ich tat nur das Notwendige. Europa musste sein altes Kleid ausziehen. Nun wandelt es eine Weile nackt durch die
Geschichte der Menschheit.»

Tatsächlich ist durch den Krieg von 1914-1918 bzw. durch die Kriegsepoche von 1914-1945 und den Kalten Krieg 1945-1989 Europa ganz zu einem Anhängsel und einer Art Kolonie des «Westens» geworden. Dieser Westen ist eine Formation, die nicht im Sinne eines geistigen Wiederaufschwungs, sondern im Sinne einer weiteren Vertiefung des Materialismus gewirkt hat und wirkt. Er bildet den Hintergrund, vor dem der hier beschworene geistige Wiederaufstieg gefunden werden muss: «Was diese Kriegsereignisse in der Notwendigkeit des geschichtlichen Werdens bedeuten, das wird ein großer Teil der Menschheit erst finden zu verstehen, wenn da sein wird, was Europa unter dem Einfluss des Westens wird», heißt es dort. Dabei müsste die Möglichkeit des geistigen Wiederaufstiegs verknüpft sein mit einem Erschrecken über «das, was Europa unter dem Einfluss des Westens» geworden ist.

 

Westen und Osten in Europa und der Konflikt um die Ukraine

Das «Alte Europa» war integral verknüpft mit der West- Ost-Trennung in Europa, der Trennung zwischen dem lateinischen und dem griechischen bzw. dem katholischen und dem orthodoxen Europa. Während der europäische Westen jene oben dargestellte Kulturwendung ausbildete, bewahrte der Osten eine mehr dem Geistigen zugewandte Kulturform. Rudolf Steiner hat die Orthodoxie mit der Formel «eine über den Köpfen der Menschen schwebende Gnosis» beschrieben. Die Auflösung jener Kulturform des «Alten Europa» im Weltkriegsgeschehen nach 1914 brachte zugleich die Möglichkeit einer Aufhebung der innereuropäischen West-Ost-Trennung mit sich. Sie zerstörte die tieferen Gründe jener Trennung. Ein Wieder-Zueinanderfinden von West und Ost in Europa wäre die Hülle, in der sich eine neue spirituelle Kultur der Menschheit, die Vorbereitung des sechsten nachatlantischen Zeitalters, entwickeln könnte. Rudolf Steiner sprach in dem Zusammenhang von der Ehe zwischen Mittel- und Osteuropa als jener Zukunftsperspektive, die in Europa angestrebt werden sollte. Die geistige Strömung der Anthroposophie könnte den Inhalt einer solchen Ehe bilden.

Die «Ehe von Mittel- und Osteuropa» soll eine neue spirituelle Kultur bringen, sie verlangt zugleich eine solche
neue spirituelle Kultur. Nur eine solche Kultur könnte eine solche Ehe tragen. Ohne eine solche Kultur würde sie aus Missverständnissen bestehen, die jedem der Partner das Gefühl geben werden, er sei hinters Licht geführt worden und die in einer baldigen Scheidung enden würden. Gegen das Gelingen der Ehe vereint sich alles, was aus alten Instinkten heraus eine solche neue Kultur verhindern will. Die angloamerikanische Weltmacht will sie verhindern, weil sie selbst die Zukunft der Menschheit in allen ihren Fasern bestimmen will. Materialistisch, wie sie gestimmt ist, kleidet sie diesen Instinkt beispielsweise in die Formeln der Geopolitik, die ihr sagen, dass ein Zusammengehen Deutschlands mit Russland eine konkurrierende, eurasische Weltmacht entstehen lassen würde und verhindert werden muss. Die katholische Kirche, die spirituelle Macht des «Alten Europa» will sie verhindern, weil sie selbst dadurch (in Europa) obsolet zu werden droht. Sie will den Osten entweder spirituelljuristisch erobern, oder als Widerlager benutzen, um ihre westlichen Schäfchen sich enger um den Hirten drängen zu lassen. Und auch die orthodoxe Kirche will sie verhindern, weil sie dadurch obsolet zu werden droht. Sie braucht die Trennung, sie braucht den Westen als Bedrohung, um ihre eigene Stellung in ihren Vormachtsländern zu festigen, um eine diktaturartige Stellung im kulturellen Leben zu errichten.

Der Konflikt um die Ukraine, wie er seit 2013 eskaliert ist, spielt eine fatale Rolle in dieser Gemengelage. Er schafft – einige Hunderte von Kilometern weiter nach Osten gewandert – eine Scheidewand zwischen West und Ost in Europa, die ähnlich fest wird wie es diejenige zwischen dem Westen und dem Kommunismus bis 1989 war. In Zukunftskarten, die nach 1989 im Westen aufgetaucht sind, wurde diese Trennlinie bereits als eine zukünftige, erneute Spaltungslinie der Menschheit beschworen – als Trennlinie zwischen dem lateinisch-westlichen und dem östlich-orthodoxen Europa. Weil der Westen aus seinen eigenen Voraussetzungen heraus die Brücke nicht schlagen kann, muss er weitere Konzepte der Trennung propagieren. Das Kulturkampfszenario Samuel Huntingtons und die (im Europäer oftmals besprochene) Zukunftskarte des Economist aus dem Jahre 1990 etwa haben diese Perspektive gehabt. Darin wird man nicht einfach eine Prophezeiung, sondern auch ein Konzept zu sehen haben. Wenn man beobachten konnte, dass die politisch maßgeblichen Anglo-Amerikaner alles taten, um den Konflikt mit Russland 2013/14 wegen der Ukraine nicht zu entschärfen bzw. zu lösen, sondern zu initiieren und anzuheizen, so wird man dieses Konzept im Hintergrund verorten können. Es geht darum, Europa, das westlichere Europa, Deutschland insbesondere, so scharf als möglich von Russland abzutrennen und abzuspalten, die Beziehungen so weit als möglich zum Erliegen kommen zu lassen. Dabei gibt dieser Konflikt zugleich einen Hintergrund ab für die gleichzeitigen Verhandlungen um eine transatlantische Freihandelszone, als Teil einer möglichst immer engeren Verzahnung des lateinischen Europa mit Nordamerika, den Hintergrund, der jene Stimmung in Europa schaffen soll, in der die Verwirklichung dieses Projekts (durch Paralysierung jeden Protests dagegen) möglich werden soll. – Und in Russland hat sich schon seit Jahren ein immer engeres Zusammengehen zwischen Staatsmacht und der wieder empor gekommenen orthodoxen Kirche entwickelt. Der Konflikt mit der Ukraine hat dieses Verhältnis jetzt noch einmal intensiviert. Ein russischer Schriftsteller hat in Bezug auf dieses Zusammengehen von annähernd «iranischen Verhältnissen» in seinem Land gesprochen.** Insofern wird man diesen Konflikt von jenen, die ihn inszeniert und heraufbeschworen haben, als Aktion sehen müssen, die dazu dienen soll, alle Keimgründe der «Ehe zwischen Mittel- und Osteuropa» möglichst weitgehend zu ersticken.

Andreas Bracher, Cambridge (USA)

* Bedeutendes, vielfältiges Material zu allem, was hier über englisch-amerikanische Weltvorstellungen im Vorfeld des Ersten Weltkriegs gesagt wurde, findet man in Markus Osterrieders Welt im Umbruch. Nationalitätenfrage, Ordnungspläne und Rudolf Steiners Haltung im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2014.

** Vgl. Kerstin Holm, «Viktor Jerofejew zur Krim-Krise», FAZ, 19.3.2014.


 

Formeln zur Weltherrschaft

Ein Staatsstreich in Zeitlupe – vom «Eisernen Vorhang» zur «Eisernen Zwangsjacke» der €U

Die sogenannte Doktrin («Amerika den Amerikanern») des 5. US-Präsidenten James Monroe (1817-25) enthält die Formel: «Die Regel unserer Haltung gegenüber fremden Nationen ist: in Ausdehnung unserer kommerziellen Beziehungen mit ihnen so wenig politische Verbindung als möglich zu haben.» Ausdehnung des Kommerzes – damit war die Grundlage für den weltweiten Export des Wirtschafts-Systems der USA, des Wall Street-Kapitalismus, des US-Dollar-Regimes, politisch fundiert. Als «wüsten Tanz um das goldene Kalb» demaskierte der am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordete Franz Ferdinand bei seiner New York-Reise ein Vierteljahrhundert zuvor dieses Wirtschaftssystem. Die Dollar-Diktatur sei «mit beispielloser Rücksichtslosigkeit gepaart… nicht selten über Tausende ruinierter Existenzen hinweg» und sehe im Menschen «nur ein Objekt der Ausnützung».1 Bekräftigt wurde die Monroe-Formel 1947 von Harry S. Truman: «Wenn wir in unserer Führungsrolle zaudern … schaden wir mit Sicherheit der Wohlfahrt unserer eigenen Nation».2 Dazwischen lagen der Mord von Sarajevo und zwei Weltkriege. Die Formeln dazu wurden von gruppenegoistischen Londoner Bruderschaften aufgestellt, wie Rudolf Steiner in den Zeitgeschichtlichen Betrachtungen im Kriegswinter 1916/17 ausführte. Einer der maßgeblichen Formellieferanten war Cecil Rhodes, seit 1877 Mitglied der englischen FM-Loge «Apollo». Nach der Rhodes-Formel wäre zuerst ein «Block aus dem British Empire und den USA» zu schmieden, dann solle dieser Block die «Basis der Geburt eines Staates der Welt werden, der von den Prinzipien und der Philosophie des angelsächsischen Unternehmer-Adels lebt».2 Alle angelsächsischen Staaten, selbst wenn sie (Teil-)Kontinente einnehmen, befinden sich auf mehr oder weniger großen Inseln, sind Seemächte. Der Geopolitiker John Mackinder postulierte daher 1904 in The Geographical Pivot of History die angelsächsische Expansionsstrategie. Von einer Insellage aus wäre das Festland nicht beherrschbar. Seiner «Kernland- Formel» zufolge liegt in der Beherrschung Eurasiens der Schlüssel zur Weltherrschaft.

10 Wahlkreise und eine «Superweltregierung»

Cecil Rhodes’ Formeln nahm 1884 die Fabian-Society auf. Der Darwinist H.G. Wells, Mitglied dieses Zirkels, war Vertreter der Ansicht, dass der Mensch nur ein weiterentwickelter Affe sei – vielleicht sprach er ja für sich selbst? Jedenfalls gehört er zu den Autoren, die politische Programme als Romane verfassen und formulierte 1914 in seinem ersten Buch Die befreiende Zerstörung den Begriff «neue Weltordnung». Die heute eher aus der New World Order-Rede vom 11. September 1990 von George Bush sen. bekannte Formel wiederholte er 1940 in The New World: «ein allgemeiner Krieg führt zur Gründung eines aus 10 Blöcken (Wahlkreisen) bestehenden Weltstaates». Nach diesem (Zweiten Welt-) Krieg gab der Freimaurer Winston Churchill am 14. Mai 1947 den Startschuss für einen Jahrzehnte währenden Prozess der Übernahme Kontinentaleuropas durch eine supranationale Organisation. Er verkündete in der Londoner Royal Albert Hall den angelsächsischen Plan, demzufolge die Vereinigung Europas nur der unabdingbar erste Schritt zur «Errichtung einer unter angloamerikanischer Hegemonie stehenden Superweltregierung» sei!3 Da England sich als Teil dieser Superweltregierung sieht, passen die aktuellen €U-Absetzbewegungen von Premier Cameron durchaus ins Bild. Mit Australien, China, €U, Russland und den USA existieren jedenfalls schon fünf Wahl-Blöcke und in Brüssel wurde eine Vasallenclique der «Superweltregierung», die €UKommission gebildet, die zu Zbigniew Brzezinskis «US-Sonderinstitutionen » zählt.

Brzezinskis «US-Ordnungssystem»-Formel

Zbigniew Brzezinskis Mentor ist David Rockefeller. Die beiden ‹Bilderberger› und ‹Council on Foreign Relations››-Mitglieder arbeiten eng zusammen, Rockefeller, Gründer der ‹Trilateralen Kommission›, setzte Brzezinski als ersten Direktor dieses Zirkels ein. Brzezinski pflegt seine Europaphobie und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Schon 1970 schrieb er in Zwischen zwei Zeitaltern: Amerikas Rolle in der Technotronischen Ära, dass die Sowjetunion ökonomisch zu schwach sei und folglich untergehen werde. Seine «technotronische» Formel sieht die USA als weltbeherrschend an und lässt eine «kontrollierte Gesellschaft» entstehen. Diese würde «von einer hemmungslosen Elite unabhängig von traditionellen Werten geprägt» und jeder Bürger «ununterbrochen überwacht» werden. Datensammlungen mit persönlichen Informationen eines jeden Bürgers würden angelegt, permanent aktualisiert und «durch Behörden unmittelbar abgerufen»! Die Bürger wären «leicht beeinflussbar durch … Persönlichkeiten, die die neuesten Techniken der Kommunikation anwenden, um Gefühle zu manipulieren und Gedanken zu kontrollieren»!2 Von Brzezinski stammt auch die Information, dass der Einmarsch der UdSSR in Afghanistan vor mehr als drei Jahrzehnten Folge einer absichtlichen Provokation der USA waren, um Moskau zu schwächen. Die eher flapsig formulierte NATO-Formel «to keep the Russians out, the Americans in and the Germans down»2 des Churchill- Zöglings General Ismay, kleidet Brzezinski in die Worte: «Die NATO … verleiht den Vereinigten Staaten … in innereuropäischen Angelegenheiten eine wichtige Stimme.» Damit rückt er en passant die Gründe für den Bruch der Gorbatschow gegebenen Zusage, die NATO nicht über die Elbe hinaus zu erweitern, heraus. Denn die NATO dient der militärischen Absicherung der US-Herrschaft in Eurasien, «der gesamte Kontinent ist von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät. »4 Mit Waffengewalt haben die USA getreu der Geostrategie- Formeln ihr Wirtschafts-System planmäßig über den Globus gerollt. 1997 definierte Brzezinski frank und frei die angelsächsischen Ziele: «Die USA stehen im Mittelpunkt eines ineinander greifenden Universums, in dem die Macht durch dauerndes Verhandeln, im Dialog, durch Diffusion und dem Streben nach offiziellem Konsens ausgeübt wird, selbst wenn diese Macht letztlich von einer einzigen Quelle, nämlich Washington ausgeht. Das ist auch der Ort, wo sich der Machtpoker abspielt, und zwar nach amerikanischen Regeln … für die Ausübung der indirekten und scheinbar konsensbestimmten Hegemonie der Vereinigten Staaten. … Der Zustand als … Supermacht wird durch die weltweite Militärpräsenz … dargestellt. … Mögliche Konkurrenten [China, Russland] sind so lange auf Distanz zu halten, bis ein weltweites Regelwerk etabliert und institutionalisiert istDas US-Ordnungssystem … setzt stark auf die indirekte Einflussnahme abhängiger ausländischer Eliten» mittels einem «weltweiten Netz von Sonderorganisationen, allen voran die internationalen Finanzinstitutionen. Offiziell vertreten der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert4 Nicht umsonst ist der Sitz beider Institute Washington, denn das ist ja «auch der Ort, wo sich der Machtpoker abspielt, und zwar nach amerikanischen Regeln» …

 

Die Ukraine – 100 Jahre nach Zerstörung der Stephanskrone

Zu den traurigsten Erbstücken von 1914 gehört die Situation in den Ländern der alten Reiche östlich des eisernen Vorhangs. Werfen wir heute, 2014, von Budapest aus, einen Blick in die Vita des führenden US-Geostrategen Brzezinski (*1928), blicken wir bis in die Ukraine. Denn St. Germain-en-Laye, Trianon und Versailles spiegeln sich im Lebenslauf der Familie ebenso wider, wie das (End-)Ergebnis des unseligen deutschen Diktatfriedens von Brest-Litowsk; selbst die von Ludendorff und Hindenburg beförderten Inthronisationen Lenins und Hitlers spielen in die Familiengeschichte hinein. Der Vater des auch als «Fürst der Finsternis» bezeichneten Brzezinski, Tadeusz, wurde 1896 in der Nähe von Lemberg geboren, das damals zuden Ländern der Donaumonarchie gehörte (siehe Karte) und heute zur Ukraine (Lwiw). 1920 diente er als Freiwilliger in den polnisch-ukrainischen bzw. sowjetischukrainischen Kriegen in Lemberg bzw. Warschau. Zu Beginn der Hitlerdiktatur war er polnischer Diplomat (1931-35) in Deutschland, danach zur Zeit der «Großen Säuberungen» des Josef Stalin in der jetzt sowjetischen Ukraine (Charkow). 1938 wanderte er nach Kanada aus. Verheiratet ist Zbigniew Brzezinski mit einer Nichte des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Edward Benes. Drei Jahrhunderte nach der jesuitisch inspirierten schwarzmagischen Rache des österreichischen Kaisers Ferdinand II. gegen die angeblichen böhmischen Aufrührer in Prag auf dem Altstädter Ring erklärte Benes im Mai 1945 eben dort: «Es wird notwendig sein …insbesondere kompromisslos die Deutschen in den tschechischen Ländern und die Ungarn in der Slowakei völlig zu liquidieren, soweit diese Liquidierung im Interesse des einheitlichen Nationalstaates der Tschechen und Slowaken überhaupt nur möglich ist.»2 Geprägt von solch einer Familiengeschichte präzisiert Brezinski am Ende des Jahrhunderts die Eurasien-Formel Mackinders: «Die Ukraine … ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. … Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa …»4 Nach der Wende ist die Ukraine dem IWF und der WTO beigetreten. Die Folgen der Öffnung des Landes für ausländisches Kapital: die Hälfte der (größeren) Betriebe wurden geschlossen, die andere Hälfte von Oligarchen und ausländischen Konzernen übernommen. Das ukrainische Bruttosozialprodukt ist seit 1991 um ein Drittel geschrumpft, die Bevölkerung hat sich um 15 Mio. Einwohner reduziert. Die Abtrennung der Krim und eine eventuelle Teilung der Ukraine in West und Ost ist vom angloamerikanischen Establishment durchaus gewollt, Brzezinski: «Kurzfristig ist es in Amerikas Interesse, den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben. Dies erfordert ein hohes Maß an Taktieren und Manipulieren, damit keine gegnerische Koalition zustande kommt …»4 Die alles bestimmenden wirtschaftlichen Hintergründe dieser Denkweise hellte kürzlich der in Budapest geborene George Friedman vom texanischen Think Tank ‹Stratfor› auf: «Die einzige und größte Angst sollte den Amerikanern nicht China oder Al Qaida machen, sondern die Verschmelzung der Technologie der Europäischen Halbinsel mit den russischen Rohstoffen. Sie würde eine Macht erzeugen, die das Primat der Amerikaner herausfordern könnte. Darum war es im 20. Jahrhundert (in zwei Weltkriegen …) eigentlich gegangen. »5 Wie perfekt Brzezinskis Falle namens «USOrdnungssystem » funktioniert, stellten wir am 27. Juni fest. Am Eröffnungstag der «Konferencia» begab sich die Ukraine (zusammen mit Georgien und Moldawien) in die eiserne €U-Zwangsjacke, unterzeichnete in Brüssel das Wirtschafts-Assoziierungsabkommen mit der €U. Für diesen Bereich des Soziallebens sitzt nun Brüssel auf dem Fahrersitz, sind die Signatarstaaten künftig nur noch das fünfte Rad am Wagen – Vasallen im Sinne der angelsächsischen Geostrategen…

 

OECD und WTO

Zu der «US-Sonderorganisation» zählt die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) in Paris, Nachfolgeinstitut der Marshallplan-Kreditverwaltung. (Entgegen landläufiger Meinung gingen mit 1,4 Mrd. US Dollar nur 10 % des insgesamt 14 Mrd. US $ umfassenden Marschallplans an Deutschland, 8 Mrd. $ dagegen an die Länder der alten Entente.) Nach wie vor ist die OECD ohne jede demokratische Legitimität in Europa tätig. Nicht nur die Staatshaushalte souveräner Völker werden von Theoretikern unter die Lupe genommen, nein, bis in Universitäten und Schulen regieren die Abstraktlinge der US-Krake: BOLOGNA und PISA sind bekannte Aktionen jüngerer Zeit. Nach 9/11 hat sich die OECD intensiv mit Bestechungs-, Steuerflucht- und Geldwäschefragen beschäftigt. Vordergründig ging es um das Aufdecken von Fällen im Iran und Irak zur Schwächung der dortigen Politik. En passant haben die USA den eigenen Spekulationsbuden der Wall Street neuen Raum geschaffen. Heute ist der US-Staat Delaware, Heimat von Vizepräsident Joe Biden, die unumstritten größte Steueroase der Welt. Von den 620’000 dort ansäßigen Briefkastengesellschaften befinden sich mehr als ein Drittel in einem einzigen, einstöckigen Gebäude!2 Wie die OECD gehört die WTO (Welthandelsorganisation) in Genf zum steuernden US-Regelwerk, während die internationalen Finanz-Sonderorganisationen mehr zu den ausführenden Organen zu zählen sind. Die WTO forciert den weltweiten Zollabbau, Privatisierungen und Deregulierungen. Kritiker beklagen regelmäßig den Einfluss der (US-)Wirtschaft auf die WTO, die immer wieder herkömmliche Regularien der Daseinsvorsorge für den einzelnen Bürger aushebelt. Dazu gehört beispielsweise die WTO-Forderung nach Privatisierung der Wasserwerke, etc. Ferner löscht die WTO mit ihren Verträgen nationale demokratische Strukturen aus, beispielsweise bisherige Gesetze in der Sozialpolitik, oder im Arbeitsoder Umweltschutz.2

 

IWF, Weltbank, BIZ und SWIFT

So wie die NATO zwei Führungsebenen kennt, den kommandierenden General (immer ein US-Amerikaner) und den Generalsekretär (immer ein Europäer), treten auch IWF und Weltbank nach außen fein säuberlich getrennt auf. Die Weltbank in Washington wird in aller Regel durch einen US-Amerikaner geführt, der IWF durch einen Europäer. Nicht nur der Sitz des Fonds – ebenfalls Washington – führt dazu, dass europäische Politiker gleich welcher Couleur recht bald im Gleichklang mit amerikanischen Ökonomie-Wölfen heulen.
Auch das ausgesuchte Personal ist von Interesse: die «Französin» Christine Lagarde war ab 1981 als Anwältin für eine US-Kanzlei in Paris tätig. Ab 1995 saß sie zusätzlich im Think Tank «Center for Strategic and International Studies» (CSIS) sowie in der «Euro-Atlantic
Action Commission» in Washington. Bei der CSIS führte sie das «Aktionskomitee USA-€U-Polen» und zwar zusammen mit – Brzezinski! Wie wichtig neben der NATO flankierende Institutionen wie die €U aber auch der €uro für die USA sind, zeigte sich in der €uro-Krise, als Obama persönlich bei den Regierungschefs in Paris und Berlin intervenierte. Erstmals bestätigte ein amtierendes Regierungsmitglied offiziell das vom ehemaligen Chef des Militärischen Abschirmdienstes MAD, Komossa und von Ex-Bundesminister Egon Bahr demaskierte Vasallentum der Bundesrepublik, ganz beiläufig teilte Deutschlands Schuldenminister Schäuble im November 2011 lapidar mit: «Wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen» – auch ein Ergebnis des 28. Juni 1914! Die 1930 gegründete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist im Prinzip die zentrale Regulierungsstelle der Notenbanken untereinander, weswegen sie «Bank der Zentralbanken» genannt wird. Die eigentliche Aufgabe ist es, den in Basel deponierten Teil der Notenbanken-Reserven zu verwalten, hinzu kommen Guthaben von IWF, Weltbank etc. Interessanter sind die Aktivitäten außerhalb des offiziellen Auftrags. Dafür hält die BIZ «nur» Ressourcen wie Tagungsräume, Personal, etc. bereit. Vorrangig sind die regelmäßigen Treffen aller Notenbank- Präsidenten zu nennen. Die Zentralbank-Gouverneure «behandeln» bei ihren verschwiegenen Treffen Fragen der Konjunktur und Finanzmärkte sowie der internationalen Wirtschafts- und Finanzstabilität. So war die BIZ an vielen historischen Entwicklungen der Weltökonomie in führender Position beteiligt, an «Bretton Woods» im Zweiten Weltkrieg, an der €uro-Einführung und am aktuellen «Draghismus». Das ungezügelte Aufblasen
der €ZB-Kredite unter Mario Draghi wurde in Basel mit Hilfe der maßgebenden angelsächsischen Notenbank-Gouverneure und ihrer Helfershelfer bei den monatlichen Treffen ins Rollen gebracht. Neben der BIZ gehört seit 9/11 das europäische SWIFT-Buchungsnetz6 für den Interbanken-Zahlungsverkehr zum «USOrdnungssystem », übermittelt vertrauliche Daten an US-Behörden. In Presseberichten (die illegalen Praktiken wurden von der New York Times aufgedeckt) war von 20 Millionen übermittelter Daten (Überweisungen) pro Jahr die Rede. SWIFT wurde zu jener Zeit von der «unabhängigen» Consultingfirma Booz Allen Hamilton beraten. Deren Geschäftsleitung bestand aus Ex-NSA-Direktor John Michael McConnel und Ex-CIA-Chef James Woolsey.2 Soviel zum Thema «Unabhängigkeit» …

 

Die €U- und €uro-Lügendoktrin

Vor zehn Jahren fachte Fed-Chef Alan Greenspan mit billigem Zentralbankgeld die Börsen an. Als Folge der monetären Konjunkturankurbelung entstand eine heute als Subprime-Krise bekannte Hypothekenblase. Aus der so initiierten Bankenkrise entwickelte
sich dann die europäische Staatsschuldenkrise. Heute kopiert die €U mit dem €uro das Subprime-Debakel. Der €uro, basierend auf den Formeln des Angelsachsen Robert Alexander Mundell (*1932), wird seit geraumer Zeit von einer römisch-katholischen Führungsriege gesteuert. Neben dem schon genannten Juncker sind zu nennen: als €ZB-Präsident der Jesuitenzögling und ehemalige Goldman Sachs-Banker Mario Draghi, als bisheriger €U-Kommissionschef José Manuel Barroso, ehemaliger Georgetown-Professor (SJ-Universität) und als Präsident des €uropäischen Rates Herman van Rompuy, ehemaliger Philosophiestudent der Katholischen Universität Leuven. Sie fluten nun über die €uro-Banken die €U-Staaten mit extrem billigen Krediten. Dabei lernt seit der niederländischen Tulpenzwiebel- Spekulation des 17. Jahrhunderts jedes Kind die Brisanz sinnloser Verschuldung. Nun entwickelt sich wie im Erstsemester-Lehrbuch für Volkswirte eine €Uweite Anleihenblase und parallel dazu (besonders in Mittel- und Nordwesteuropa) eine Immobilienblase. Die erste Quittung ließ nicht lange auf sich warten. In der«Sonder-Wirtschaftsregion €U», einem der geplanten «10 Weltblöcke», fanden kürzlich Wahlen statt. Wiederum wurde das Desinteresse an dem künstlichen Gebilde mit einer für das Politpersonal blamabel geringen Wahlbeteiligung dokumentiert. Weiters konnten Parteien mit deutlichem Anti-€uro- bzw. €U-Profil erhebliche Zuwächse verbuchen. Dennoch nominierten die Staatschefs am 27. Juni ausgerechnet den Luxemburger Jean- Claude Juncker als €U-Kommissionschef. Justament nach einem Vierteljahrhundert Regierungstätigkeit vom eigenen Volk aus dem Amt gescheucht, gibt es ein neues Kapitel im Drama «hast du einen Opa, schick ihn nach €uropa». (Abgesehen von gewissen geographischen Zufälligkeiten hat die €U nichts mit «Europa» zu tun). Der abgehalfterte Klosterschüler hat sich für die neue
Rolle durch zwei Aussagen besonders qualifiziert. 1999, zur Zeit der Einführung des €uro sagte er: «Wir [die €U] beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt2 Dann zeigte die Staatsschuldenkrise, dass diese Einheitswährung für die unterschiedlichsten Volkswirtschaften von Aberdeen bis Cypern und von Ceuta bis Tallinn eine Katastrophe nach der anderen gebiert. Neue Schuldenpakete wurden ab 2010 mit heißer Nadel gestrickt und dann als «Rettungsmaßnahmen» durch die Parlamente gepeitscht. Dazu passt ein Kommentar von 20112 des Erzkatholiken wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: «Wenn es ernst wird, muss man lügen»! Hernach geht man beichten und alles wird gut…

 

Kulturtod oder soziale Dreigliederung

Am 2. November 1919 (GA 191) wies Rudolf Steiner darauf hin, «dass der alte Einheitsstaat als solcher, ganz gleichgültig, welche Verfassung, welche Struktur er hat, ob er Demokratie oder Republik oder Monarchie oder irgendetwas ist, wenn er Einheitsstaat ist, wenn er nicht dreigeteilt ist, der Weg ist zur ahrimanischen Inkarnation.» Mit der Bezeichnung «irgendetwas» ist das Brüsseler Marionettenkonstrukt trefflich skizziert. Das Diktat des angloamerikanischen Turbokapitalismus und die dem Geistesleben feindlichen Überwachungs-Phantastereien eines Brzezinski (s.o.) lassen nur den Schluss zu: die €U ist ein Einheitsstaat par excellence, von Dreigliederung keine Spur. In den Vorträgen Die Sendung Michaels (GA 194) warnte Rudolf Steiner am 15. Dezember des gleichen Jahres: «Ein Wirtschaftsleben wie das anglo-amerikanische, das in die Weltherrschaft ausmünden sollte: wenn es sich nicht bequemt, sich durchdringen zu lassen von dem selbständigen Geistesleben und selbständigen Staatsleben, mündet ein in … Kulturkrankheit, Kulturtod. Die anglo-amerikanische Welt mag die Weltherrschaft erringen: ohne die Dreigliederung wird sie durch diese Weltherrschaft über die
Welt den Kulturtod und die Kulturkrankheit ergießen …» Schon am 1. Januar 1919 (GA 187) hatte er darauf hingewiesen, dass die zergliedernde naturwissenschaftliche Denkweise, angewandt auf das soziale Leben, die Menschen zerreißt. Es müsse die gestaltende Denkweise der Geisteswissenschaft angewandt werden. Ganz eng gefasst könne man zum Ereignis von 1914 trivial sagen: «Eine große Anzahl derjenigen Menschen, die die gegenwärtige Kriegskatastrophe herbeigeführt hat, und derjenigen, die noch drinnensteht in dem, was die Folgen sind, ist eigentlich verrückt.» Heute, 2014, ist ausschließlich die soziale Dreigliederung, nämlich ein freies Geistesleben, ein brüderliches Wirtschaftsleben und ein Rechtsleben auf Grund der Gleichheit für alle anzustreben. Wer stattdessen ein volles Jahrhundert nach der Ur-Katastrophe vom 28. Juni 1914 in Sarajevo immer noch den Materialismus, das Weltbild der Börsen-Junkies oder den Staatssozialismus (und sei es mit einer Staatsrente namens «bedingungsloses Grundeinkommen») anbetet, wer den Einheitsstaat – auf nationaler wie supranationaler Ebene – für eine zeitgemäße Sozialordnung hält, ist, wie Rudolf Steiner an Neujahr 1919 schonungslos auseinandersetzte, «eigentlich ver-rückt».

Franz-Jürgen Römmeler

1 Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-93, Hrsg. Frank Gerbert, Wien 2013, zitiert nach: Michael Schrott, Rezension «Mit Gmunden kann
Borneo nicht mithalten», FAZ, 27.6.13.
2 http://de.wikipedia.org/wiki/ (22. Juni 2014)
3 zitiert nach: Thomas Meyer, Von Moses zu 9/11, Basel 2010.
4 Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft (Originaltitel: The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives, New York 1997). Sowohl die gebundene als auch die Taschenbuchausgabe ist vergriffen; antiquarisch werden bis zu 300,– € aufgerufen! Die deutsche Ausgabe ist komplett als pdf-Datei im Internet zu finden: http://globaleevolution. net/images/media/316.pdf ; siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft
5 zitiert nach: Helmut Böttiger, 14. Juni 2014, http://www.spatzseite.com/
6 Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. Zur Monroe-Doktrin siehe: http://www.wissen.de/lexikon/monroedoktrin bzw.: https://archive.org/stream/diemonroedoktri00kraugoog/diemonroedoktri00kraugoog_djvu.txt


«TAFTA» – «TTIP» & «TiSA», ein «Staatsstreich in Zeitlupe»! Mit der «Wirtschafts-NATO»

Mit der «Wirtschafts-NATO» in die «Eiserne Zwangsjacke»1

Am Gedenktag des Origenes, im frühlingshaften April, fuhr ein Teil der Redaktion ins Elsass, was (ohne Mühlhausen und Straßburg) seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges erstmals zu Frankreich gehörte. Es wurde vom habsburgischen Kaiser sozusagen gegen die achte Kurwürde (für das katholische Bayern) «eingetauscht». In der Folge war die staatliche Zugehörigkeitsfrage ein ständiger Zankapfel zwischen den jeweiligen Reichen diesseits und jenseits des Rheins. Nach dem von Frankreich angezettelten und dann verlorenen Krieg gegen Preußens Militär unter Moltke dem Älteren wurde das Elsass wieder deutsch, kein halbes Jahrhundert später wendete sich das Blatt erneut. Der Mission des jüngeren Moltke war aus den von Rudolf Steiner aufgezeichneten Gründen in den post-mortem-Mitteilungen2 kein Glück beschieden. Im April führte uns ein pensionierter Bundesminister an den Lingekopf. An der zentralen Erinnerungsstätte und zwei Soldatenfriedhöfen gedachten wir den dort im Ersten Weltkrieg gestorbenen 17’000 Menschen. Die sorgsam gepflegten Grabstätten vermitteln auch Nachgeborenen noch einen Nachhall jenes Grauens, dem Franzosen und Deutsche zum Opfer gefallen sind. Die Freundlichkeit, mit der die Einheimischen den Fremden begegnen, ist ein wohltuender Kontrast dazu. Die Familie des Ruheständlers hatte im Ersten Weltkrieg
einen hohen Blutzoll zahlen müssen, vielleicht zog es ihn deshalb ins Verteidigungsdepartement. Dort hatte er einmal eine kecke Journalistenfrage über den damaligen eitlen NATO-Oberbefehlshaber ironisch beantwortet. Das brachte ihm beim nächsten Besuch in Washington eine heftige Retourkutsche ein. Stürmte doch der damalige Sicherheitsberater Jimmy Carters, Zbigniew Brzezinski, laut rufend aus seinem Büro im Weißen Haus, er wolle den «bad guy» sehen. Zimperlich war Brzezinski nie, auch in seinen schriftlichen Werken ist er brutal direkt. So definierte er 1997 in seinem Großen Schachbrett3 frank und frei, mit klarem Bekenntnis zu US-dominierten Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen, die Ziele angelsächsischer Politik: «Die USA stehen im Mittelpunkt eines ineinander greifenden Universums, in dem die Macht … letztlich von einer einzigen Quelle, nämlich Washington ausgeht. Das ist auch der Ort, wo sich der Machtpoker abspielt, und zwar nach amerikanischen Regeln […] für die Ausübung der indirekten und scheinbar[!] konsensbestimmten Hegemonie der Vereinigten Staaten. […] Das US-Ordnungssystem … setzt stark auf die indirekte Einflussnahme abhängiger[!] ausländischer Eliten [mittels einem] weltweiten Netz von Sonderorganisationen, allen voran die internationalen Finanzinstitutionen. Offiziell vertreten [sie] globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert

 

«Hampelmänner»

Eingeordnet werden können Brzezinski & Co. in eine Rubrik, die Rudolf Steiner am 11. Dezember 1916 in den Zeitgeschichtlichen
Betrachtungen (GA 173 a) wie folgt skizzierte: «Eine mächtige Gruppe, die sozusagen wiederum nur der Außenposten für gewaltige dahinter stehende Impulse war.» Diese «mächtige Gruppe stand hinter jenen Hampelmännern, die ja selbstverständlich ehrliche Menschen
sind, aber eben Hampelmänner sind…» Alexander Lüscher, Herausgeber der Neuauflage, ergänzt dazu aus den Vorträgen vom 4. Dezember 1916 (GA 173 a) und 8. Januar 1917 (GA 173b): «Man hat es also mit Menschen von ganz unterschiedlichem geistigen Gewicht zu tun: zunächst mit solchen, die in ihrer Naivität keine Ahnung haben, in wessen Dienst sie sich stellen [«Hampelmänner»], dann mit Vertretern von Gruppierungen, die ganz bestimmte, rein egoistische Machtbestrebungen verfolgen [Logen wie der «Grand Orient de France»] und schließlich jene, die sehr bewusst ganz bestimmten geistigen Impulsen dienen wollen [okkulte Brüderschaften].» Eigentliche Machthaber sind also die genannten okkulten Brüderschaften, die «grauen Brüder» oder «Brüder des Schattens». Deren Absichten schilderte Rudolf Steiner in den Zeitgeschichtlichen Betrachtungen (z. B. am 15. Januar 1917, GA 173c), die dabei angewandten Praktiken schon am 4. April 1916 im
Vortrag «Zeichen, Griff und Wort» (GA 167). Die Macht, die Politiker, etc., also «Hampelmänner» wie Brzezinski, Kissinger und Janet Yellen, Rockefeller, Rothschild und Christine Lagarde, Bush, Obama und Hillary Clinton ausüben, ist nur von den «Brüdern des Schattens» geliehen. Die Macht erodiert gelegentlich, so zum Beispiel bei der WTO. Jüngst erst hat der neue indische Ministerpräsident Modi die WTO in die Schranken verwiesen. Deshalb kreieren die «Hampelmänner» nun auf Geheiß ihrer «Impulsgeber » neue Organisationen, um das Diktat zu verschärfen. Christopher Clark schreibt in Die Schlafwandler davon, dass «die Anschläge auf das World Trade Center uns exemplarisch vor Augen geführt haben, inwiefern ein einziges, symbolträchtiges Ereignis … die Politik unwiderruflich verändern kann … und neuen Optionen eine unvorhergesehene Dringlichkeit verleiht.» Die unscheinbar daherkommenden Abkommen TAFTA-TTIP & TiSA werden auch so ein einziges, symbolträchtiges Ereignis werden. Bislang noch ohne äußeres Symbol, bleibt es den meisten verborgen. Das Erforschen gemeinsamer politischer und ökonomischer Zusammenhänge in der Weltpolitik steckt in Kontinentaleuropa immer noch in den Kinderschuhen, allen Vorträgen – insbesondere den Zeitgeschichtliche Betrachtungen – Rudolf Steiners zum Trotz.

Das sehen wir aktuell auch bei den Anthroposophen, die hinter der «Vollgeld-Initiative» herlaufen. Die will das Kreditmonopol, die Lizenz, um «Geld zu drucken», den Nationalbanken vorbehalten und postuliert ein publicityträchtiges Kreditverbot für private Bankgesellschaften. Dabei «druckt» derzeit niemand mehr «Geld» als die Notenbanken. Und die Schweiz hat ihre Nationalbank als privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft organisiert. Da erkennt man die Qualität der Initiative und die Expertise ihrer Akteure gleich doppelt. Staatliche Regulierungsbehörden könnten schon heute mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten alle Wünsche der Initiative bedienen – sie wollen (oder dürfen) es nicht! Im Europäer wurde bereits im Februar darauf verwiesen: die mangels geordneter Geld-Alterung frei vagabundierenden Guthaben (namentlich die den Private Equity und Hedge-Fonds zur Verfügung gestellten Anlagegelder) sind der eigentliche Kern allen Übels.4 Aber wer auf der Homepage der «Vollgeld-Initiative» ein Foto samt Sprüchen des führenden Jesuiten erblickt, weiß, woher der Wind weht und kennt die Inspiratoren auch dieser «Hampelmänner».

Das «US-Ordnungssystem» nach Brzezinski

OECD-Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nachfolgeorganisation der OEEC (Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit) bzw. des Marshallplans, ursprünglich 1948 gegründet.
GATT-Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen: 1947 von der Bretton-Woods-Konferenz gegründet, regelte die Handelsund Wirtschaftsbeziehungen der Staaten.
WTO-Welthandelsorganisation: 1994 aus dem GATT heraus gegründet und betrifft den Handel mit Waren.
GATS-Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement in Trade on Services): 1994 gleichzeitig mit der WTO-Gründung abgeschlossen.
TPP (auch TTSEP)-Trans-Pacific Strategic Economic Partnership: US-Vertragsverhandlungen für den Pazifik-Raum seit 2005; in 7/2012 laut New Zealand Herald in der 13. Runde. WikiLeaks veröffentlichte in 11/2013 ein geheimes Protokolldetail: in Brunei (8/2013) ging es um Bio-Patente, Bürgerrechte, Internet-Dienste und Medikamente.
TiSA-Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement) zwischen Washington und €U; Verhandlungsbeginn: 2012.
TAFTA-TTIP-«Trans-Atlantisches Freihandels-Abkommen» (Trans-Atlantic Free Trade Area oder Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen Washington und €U; Verhandlungsbeginn: 2012.

Vom GATS- zum TiSA-Diktat

Als «Mauerdividende» bezeichneten 1989/90 die angelsächsischen Akteure der Finanzindustrie das Ergebnis des Einknickens der Kohl-Regierung vor der Bush-Administration bei der geforderten Privatisierung der deutschen Körperschaften. Dienstleistungsbetriebe wie Post, Postbank und Telekom zählten dazu, die Aktienquote angelsächsischer Fonds an den DAX-Unternehmen spricht für sich. Den Schaden haben die Umwelt (wo früher ein Postbote am Tag kam, sind heute oft drei oder vier Unternehmen im gleichen Viertel unterwegs) und die Beschäftigten, die oft in prekären Lohnverhältnissen arbeiten. Privatisiert wurden darüber hinaus querbeet Universitäts- und Reha-Kliniken, Altersheime, Wasserwerke usw., usf. – alles zu Lasten der Arbeitnehmer und bislang ordentlich versorgter Bürger. Mit WTO, GATS und OECD wurden solche herkömmlichen, demokratisch zustande gekommenen Gesetze in der Sozialpolitik, im Arbeits- oder Umweltschutz ausgehebelt. Die WTO forciert Privatisierungen, Deregulierungen und den Zollabbau weltweit. Sie gehört wie die OECD zu den steuernden Organen, während Finanzinstitutionen wie Weltbank, IWF und BIZ den ausführenden Organen zuzurechnen sind.1 Kritiker beklagen regelmäßig den Einfluss der (U$-) Wirtschaft auf WTO, OECD und GATS, offensichtlich aber ist den USA das Vorgehen immer noch zu langsam. Freihandelsverfechter der Multis und Spekulationsindustrie behaupten, dass alle Versorgungssysteme und Dienstleistungen unter die GATSVerträge fallen, selbst wenn sie von staatlichen Stellen erbracht werden. OECD und WTO blasen ins gleiche Horn: wenn sowohl private, kommerziell orientierte als auch öffentlich-rechtliche bzw. gemeinnützige Institutionen parallel existieren, sei eine Wettbewerbssituation realistisch. Folglich fallen alle Institutionen, auch solche in öffentlicher oder gemeinnütziger Trägerschaft, unter das GATS. Streitpunkte sind ferner staatliche Auflagen, diese seien nicht «handelsneutral», derartige Regularien würden den «demokratischen Gestaltungsspielraum» (der Multis und Spekulanten!) bedrohen.

 

«Bananenrepubliken»

Der ewigen Streitereien mit öffentlichen Konkurrenten, Regierungen, Staatsgerichtshöfen usw. müde, will Washington mit TAFTA-TTIP und TiSA das finale Zwangskorsett für die €U schneidern. Wall Street-Industrielle, -Dienstleistungsmultis oder -Datenkraken wie Amazon, Facebook, und Google wollen jetzt die Verträge auf eine Ebene hieven, auf der sie unter sich sind, z.B. der kommerziellen Schiedsgericht-Ebene. US-Gerichte fühlen sich bekanntlich nicht nur für das zuständig, was in den USA passiert, sondern auch für das, was mit US-Bürgern weltweit geschieht. Jüngst wurde diese Allmacht erweitert, schneiderte ein US-Gericht eine neue «Zwangsjacke». Nun sind US-Gerichte auch zuständig, wenn Ausländer irgendwo auf der Welt Geschäfte mit der US-Währung, dem Dollar abwickeln! Um diese Macht weiter zu arrondieren, wurde parallel zu TAFTA-TTIP die TiSA-Neuregelung auf den Weg gebracht. Das Ziel ist die «Beseitigung von Handelshemmnissen» im Dienstleistungssektor, d.h., öffentliche Dienstleistungen in der Gesundheits-, Wasserund Energie-Versorgung, im Bildungswesen, im Finanzsektor (Sparkassen!) sowie in allen anderen Bereichen sollen dereguliert und internationaler Konkurrenz ausgesetzt werden. TiSA soll ferner verhindern, dass bereits privatisierte Versorger (Stadtwerke!) von Kommunen zurückgekauft werden. Marktchancen für Unternehmen sollen auf TiSA-Basis unter Umgehung demokratischer Regularien verfolgt werden können. Mit dem Ansinnen, (ausländische) Dienstleister sollen beliebig oft (ausländische) Leiharbeiter für temporäre Einsätze in Drittstaaten einsetzen dürfen, kehrt das Sklaventum auf moderne Art zurück! Der Finanzindustrie soll ermöglicht werden, Informationen (private Bankdaten!) frei in alle Länder, in denen die Unternehmen vertreten sind, zu transferieren, ein klarer Angriff auf den europäischen Datenschutz und § 1 des deutschen Grundgesetzes. Dennoch: bei allem, was TAFTA-TTIP regeln soll, hat der Verbraucher (noch) das letzte Wort. Wer z.B. für ein T-Shirt nur 9 Franken bezahlt, weiß schließlich, dass die Näherin in Südostasien keine 50 Rappen pro Stunde verdient und einen Arbeitstag von 14 Stunden hat. Noch ist der Verbraucher nicht gezwungen, z. B. gechlorte US-Hähnchen zu kaufen oder genmanipuliertes Getreide bzw. die daraus erstellten Produkte. Schon Rudolf Steiner sagte, dass jeder Käufer mit seinem Portemonnaie an der Kasse entscheidet, was produziert wird. Aber: dieses Instrument steht dem einzelnen Bürger für den Umfang, den TiSA regeln soll, nicht zur Verfügung. Und damit die unlauteren Absichten nicht an die Öffentlichkeit dringen, laufen die Geheimverhandlungen an verschiedenen ebenso geheim gehaltenen Orten. Die Teilnehmer wollen die Verhandlungspapiere frühestens fünf Jahre (!) nach Abschluss des Vertrags an die Öffentlichkeit lassen. Das sind Verhaltensweisen von Diktaturen, die sich selbst zwar «frei» nennen, die man aber gemeinhin «Bananenrepubliken» nennt…

 

«Wirtschafts-NATO»

Dass TAFTA-TTIP & TiSA auch «Wirtschafts-NATO» genannt werden, zeigt, wohin die Reise geht. Mit dem üblichen Wortgeklingel verkünden €U-Kommission und US-Regierung, dass es um Marktzugang, Zollabbau, öffentliche Aufträge gehe, sowie um regulatorische Zusammenarbeit und globale Regelentwicklung. Letzteres, die Lenkung der US-Wirtschaftsinteressen, ist die tatsächliche Hauptstoßrichtung, denn bislang sind keine acht Prozent des US-€U-Handelsvolumens zollpflichtig – aber 20 % der €U-Importe! Es geht also im Wesentlichen um den Abbau von Standards namentlich in Europa. Es geht um unsere Gesundheit, unsere Lebensmittel und unsere Umwelt, auch um die Privatisierung der letzten gemeinwirtschaftlichen Felder Europas. Und natürlich geht es um das große Geschäft multinationaler US-Konzerne. Deswegen wird mit allen Tricks gearbeitet. So schrieb z.B. Charles Ries, Architekt der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) und Vizepräsident des Think Tanks RAND Corporation im Januar 2013 in den International Trade News: «Vorstellungen über das wirtschaftliche Ausmaß sind spekulativ und hypothetisch. Allerdings gibt es kaum Zweifel daran, dass es positive Auswirkungen hätte…» Wie positiv die Auswirkungen sind, finden Sie weiter unten bei Lori Wallach: «ein paar Promille»! Ach ja: Die RAND Corporation wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, einziger Grund: Beratung der US-Army. Das schlechte Gewissen der «Hampelmänner» hat dazu geführt, dass auch diese Verhandlungen samt Inhalten nicht öffentlich sind. Geführt wird das Beratungsgremium durch ein US-Kabinettsmitglied und einen €U-Kommissar. Nicht einmal €U- oder nationale Parlamentarier haben die Möglichkeit, TAFTA-TTIP & TiSA-Texte einzusehen, geschweige denn die Verhandlungen zu verfolgen oder gar daran teilzunehmen. Stattdessen gehören dem seit
2012 tagenden Beratungsgremium von europäischer Seite nur Lobbyisten des Europäischen Arbeitgeberverbandes «Business Europe» (Brüssel) und der Bertelsmann-Stiftung (!) an, beide ohne jegliches demokratische Mandat. Bei Liz Mohn, Aufsichtsrätin der Bertelsmann-Gruppe (Nr. 1 der Medienkonzerne; RTL, Random House, usw.) und Vorstand der Bertelsmann-Stiftung (intellektueller Stützpfeiler angelsächsischer Hegemonie in Europa) laufen die Drähte zusammen. Daher dürfte ihre Freundin Angela Merkel stets bestens informiert sein.5 Ohnehin ist Merkel eine Protagonistin dieses Prozesses, hat sie doch schon im Wahlkampf vor ihrer ersten Regierungsbildung einer Freihandelszone zwischen den USA und der €U das Wort geredet, öffentlich von einer «transatlantischen €U» geträumt.

 

«Staatsstreich in Zeitlupe»

Die Abkommen gehen mit einem nie geahnten Souveränitätsverlust einher: der Hauptgrund für die
Heimlichtuerei. Die amerikanische Anwältin, Handelsrechtsexpertin und Verbraucherschützerin Lori Wallach über das geplante Diktatabkommen: «Ein solches Abkommen würde nationale Regierungen bis hinunter zu Kommunalverwaltungen verpflichten, ihre aktuelle und künftige Innenpolitik dem umfangreichen Regelwerk anzupassen. Der zurückgetretene US-Handelsminister Ron Kirk hatte 2012 in einem Anfall von Aufrichtigkeit erklärt: ‹In einem früheren Fall ist der Entwurf für ein umfassendes Handelsabkommen publiziert worden und deshalb gescheitert.› US-Senatorin Elizabeth Warren dazu:
‹Ein Papier, das die Öffentlichkeit scheuen muss, darf gar nicht unterzeichnet werden.›» Die US-Verbraucherschützerin weiter: «3’300 €U-Unternehmen besitzen mehr als 24’000 Tochterunternehmen in den USA, von denen jedes sein Investoreninteresse gegenüber dem Staat einklagen könnte. Umgekehrt könnten auf die €U Investorenklagen seitens der 50’800 Tochterfirmen
zukommen, die 14’400 US-Unternehmen in der €U unterhalten. Insgesamt wären 75’000 … Unternehmen in der Lage, ein politisches System zu untergraben, auf das sich die Bürger bislang verlassen haben.»6 Wie der Souveränitätsverlust in der Praxis aussieht, kann in Nordamerika nach Abschluss des NAFTA-Vertrages beobachtet werden, denn US-Manager machen von ihrem Klagerecht gegen die Nachbarländer Canada und Mexiko bereits Gebrauch. So verlangt beispielsweise die US-Firma Lone Pine von Canada 250 Mio. Dollar Entschädigung für entgangene Gewinne. Grund: das kanadische Moratorium für Fracking von Schiefergas und -öl. Begleichen müssen diese Rechnung die kanadischen Steuerzahler. So presst man Vasallenstaaten aus…

 

«Ein paar Promille»

Positive Effekte werden TAFTA-TTIP & TiSA nie erreichen, die von interessierter Seite publizierten Modellrechnungen sind ein Witz. Lori Wallach schreibt: «Eine Studie des TAFTA-freundlichen European Centre for International Political Economy [ECIPE, Brüssel] kommt zu dem Befund, dass das Bruttoinlandsprodukt der USA wie der EU – selbst unter extrem blauäugigen Annahmen – allenfalls um ein paar Promille wachsen würde, und das [erst] ab 2029»! Es geht ausschließlich um die Marktmacht angelsächsischer Multis und deren Gewinne zu Lasten kleinerer Lieferanten, Dienstleister und Abnehmer in der €U. En passant findet die Atomisierung des europäischen Rechtslebens statt. Denn mit TAFTA-TTIP & TiSA soll die fragwürdige angelsächsische Schattenkultur kommerzieller Schiedskammern verbindlich durch die Hintertür eingeführt werden. Die Monsterverträge wären bindend und praktisch unumkehrbar. Jeder einzelne Paragraph könnte nur mit Zustimmung aller Signatarstaaten plus Brüssel modifiziert werden, eine Illusion. Das Zwangs-Abkommen ist schlicht undemokratisch und wird zu Recht als Zwangsjacke bezeichnet. Es ist aber ganz im Sinne der US-Doktrinäre Monroe, Truman und Brzezinski.1 Wer solche «Freunde» hat, braucht keine Feinde. Erwähnenswert bleibt noch die Einschätzung von Lori Wallach über das unverschämte Vorgehen von Washingtoner «Hampelmännern» und (mittel-)europäischen «Schlafwandlern» bei TAFTA-TTIP & TiSA. In Le Monde diplomatique schrieb sie von der «großen Unterwerfung» der Teilnehmerstaaten und nannte dies einen «Staatsstreich in Zeitlupe»!6

 

Emil Molt und Rudolf Steiner

Weitsichtig umriss der Wiener Egon Friedell vor einhundert Jahren in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit die Folgen des Spanisch-Amerikanischen Krieges (1898): «Lange und große Auseinandersetzungen von der Art der Punischen Kriege werden kaum zu vermeiden sein.» Die Punischen Kriege dauerten von 264 bis 146 v. Chr., also 118 Jahre. Seit 1898 sind 116 Jahre vergangen, ein Ende des Spuks ist nicht in Sicht. 100 Jahre nach 1914 ist zu konstatieren, dass es Europas Schlafwandler versäumt haben, Brzezinskis Großes Schachbrett zu lesen, von Rudolf Steiners Zeitgeschichtlichen Betrachtungen ganz abgesehen. Erinnert sei an einen Innenminister, der traurige Berühmtheit erlangte, weil er auf Geheiß der 9/11-Lügner die Bürger für deren Pässe einem biometrischen Verfahren unterziehen ließ, das bis dahin nur für Verbrecher galt. Der nannte einmal in Dornach Rudolf Steiners Zeitgeschichtliche Betrachtungen «Verschwörungsliteratur »! Solche Schlafwandler lassen sich lieber von supranationalen Organisationen wie OECD und WTO aufs Glatteis führen, von BIZ, Fed und €ZB auspressen, als dass sie selbst anfangen zu denken. Und jetzt leisten sie auch noch bei TAFTA-TTIP & TiSA aktive Beihilfe zum «Staatsstreich in Zeitlupe»! Dabei könnte Europa längst den Vorschlägen Rudolf Steiners für ein harmonisches Sozialleben aller Bürger gefolgt sein. Vielfältige Hinweise für ein gerechtes, zeitgemäßes Wirtschaftssystem liegen mit der sozialen Dreigliederung vor! In seiner Autobiographie Entwurf meiner Lebensbeschreibung hielt Emil Molt unter dem 27. Januar 1919, also noch vor Versailles, aus seinem Dialog mit Rudolf Steiner in den sogenannten «Januargesprächen» folgende Aussagen des Geisteslehrers fest: «…Die Leute, die als Drohnen leben, hängen ganz vom Wohlwollen ab. Das wird einfach aufhören.» […] «Eine Wirtschaftsordnung [wie die soziale Dreigliederung] würde zunächst für Mitteleuropa und den Osten verwendbar sein. Der Westen würde es nicht annehmen. […] Mit dem Westen werden wir überhaupt nur durch Waren verkehren. Denn sie werden uns das Geld doch wegnehmen, z. B. den Goldschatz…»

 

Dreigliederung als «Schulungsweg»

Der geraubte «Goldschatz» liegt noch heute in New York bzw. Fort Knox. «Hampelmänner», die heute noch immer das Geschäft des Westens betreiben, betreiben das Geschäft der «Drohnen», das Geschäft des «wüsten Tanz um das goldene Kalb». So charakterisierte der vor exakt 100 Jahren in Sarajewo ermordete Franz Ferdinand 1892/93 bei seinem New York-Aufenthalt dieses Wirtschaftssystem.
Die US-Dollar-Diktatur sei «mit beispielloser Rücksichtslosigkeit gepaart … nicht selten über Tausende ruinierter Existenzen hinweg» und sehe im Menschen «nur ein Object der Ausnützung ».7 Der Nimbus der Drohnen, der Dollar, Symbol der 3. nachatlantischen Epoche, ist kein in die Zukunft
weisender Weg.8 Es ist nicht der Weg Michaels, es ist der Mammon-Weg, der Weg Ahrimans. Den michaelischen, den christlichen Weg hat Rudolf Steiner vorgezeichnet, es ist auch der rosenkreuzerische Weg. Dieser Weg geht nach Osten. Unsere mittel- und osteuropäischen Vorfahren haben das noch gewusst: sie haben den johanneischen Nimbus, den Adler, prominent in ihren Wappen verankert. Im Michael-Zeitalter ist dieser Weg der von Rudolf Steiner aufgezeigte Weg der sozialen Dreigliederung. Am 12. September 1919 (GA 193) skizzierte er das in Berlin zunächst mit einem Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre so: «Nur die Jahrhunderte bis zum Ende des 19., die drei bis vier letzten Jahrhunderte, haben gewissermaßen so gewirkt, dass es in der Gesamtentwickelung der Menschheit
gerechtfertigt scheint, den Menschen mehr als ein Rad in den allgemeinen Weltenmechanismus hineinzustellen. Die Aufgabe für die nächste Zukunft schon wird sein, dass sich der Mensch aus diesem Weltenmechanismus herausarbeite.» Diese Zukunft erläuterte er dann wie folgt: «Die Menschheit macht [das] Überschreiten der Schwelle so durch, dass die Gebiete des Denkens, Fühlens und Wollens auseinander gehen. Das aber legt uns Verpflichtungen auf, die Verpflichtung, das äußere Leben so zu gestalten, dass der Mensch diesen Umschwung seines Innern auch im äußeren Leben durchmachen kann. […] Was bisher chaotisch im öffentlichen Leben durcheinander wirkte, müssen wir jetzt in drei Gebiete gliedern. Diese drei Gebiete im öffentlichen Leben sind: das Wirtschaftsleben, das staatliche oder Rechtsleben und das Kulturleben oder geistige Leben. Diese Forderung der Dreigliederung hängt mit dem Geheimnis der Menschheitswerdung in diesem Zeitalter zusammen

Lassen Sie uns daran arbeiten!

Franz-Jürgen Römmeler

Quellen:

1 Modifiziertes Manuskript des Vortrages vom 28. Juni in Budapest anlässlich der 1914-2014-Conference des Perseus-Verlages, der Ita Wegman Alapitvany und der Kos Karoly Alapitvany. Siehe Teil 1 in: Der Europäer Jg. 18, Nr. 11 (September 2014).
2 Andreas Bracher & Thomas Meyer: Helmuth von Moltke 1848-1916. Dokumente zu seinem Leben und Wirken, Band 2, Basel 2007.
3 The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives, New York 1997 (Deutsch: Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Sowohl die gebundene als auch die Taschenbuchausgabe ist vergriffen; antiquarisch werden bis zu 300,– € aufgerufen) Deutsche Ausgabe komplett als pdf: http://globale-evolution.net/%20images/media/316.pdf ; siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft
4 «Kredit wird haben die menschliche Tüchtigkeit. Skurrile heutige Ideen zur Geldschöpfung und Rudolf Steiners Ansatz für ein menschliches Kreditsystem.» Der Europäer Jg. 18, Nr. 4 (Februar 2014).
5 Siehe Thierry Meyssan: http://www.voltairenet.org/article145118.html | 5. Februar 2007 | Übersetzung: Zeit-Fragen
6 Lori Wallach (8. Nov. 2013), verkürzt zitiert nach: http://www.mondediplomatique.
de/pm/2013/11/08.mondeText1.artikel,a0048.idx,0
7 Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892-93, Hrsg. Frank Gerbert, Wien 2013, zitiert nach: Michael Schrott, Rezension «Mit Gmunden kann Borneo nicht mithalten», FAZ, 27.6.13.
8 siehe: «1913/14: London und New York im Schatten okkulter Symbole, ‹Cleopatra‘s Needles›, Teil II»; Der Europäer Jg. 18, Nr. 2/3 (Dezember/ Januar 2013/14).