Fast hundert Jahre lang galt die fixe Vorstellung, dass das Deutsche Kaiserreich schuld am Ersten Weltkrieg sei. In den letzten Jahren hat sich das schlagartig geändert. Heute sind die meisten Historiker davon überzeugt, dass alle europäischen Großmächte gleichermaßen einen großen Anteil an der furchtbaren «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts» hatten.1 Noch weiter geht der britische Historiker Niall Ferguson. Der Professor an der amerikanischen Harvard-Universität bezeichnete die britische Intervention von 1914 in einem BBC-History-Interview als «den größten Fehler der modernen Geschichte»2. Die Briten hätten sich 1914 aus dem Krieg heraushalten sollen. Es habe keine direkte Bedrohung für Großbritannien bestanden. Man hätte sich einem durch Deutschland dominierten Europa zu einem späteren Zeitpunkt stellen können, zu seinen eigenen Bedingungen. Stattdessen sei man unvorbereitet in eine Katastrophe geschlittert. «Großbritannien hätte tatsächlich mit einem deutschen Sieg leben können», sagt Ferguson. Er weist die Vorstellung zurück, dass Großbritannien 1914 zu dem Schritt gezwungen geworden sei, um die eigenen Grenzen und Häfen zu schützen. Er beruft sich dabei auf die Geschichte. Die Briten hätten genau diese Situation toleriert, als der Franzose Napoleon mit seiner Armee den europäischen Kontinent überrannt hatte. Damals hatte man sich auch nicht eingemischt. «Eine Armee fast aus dem Nichts aufzubauen und dann in den Kampf gegen die Deutschen zu schicken, war ein Rezept für schreckliche Verluste.»3 Britannien hätte sich aus dem Ersten Weltkrieg heraushalten sollen und mit einem deutschen Sieg leben können, schließlich sei das Kaiserreich demokratischer gewesen als Britannien damals, meint der Historiker weiter. …
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