Rudolf Steiner machte auf eine fundamentale Tatsache aufmerksam: Die Spiegelung der dritten nachatlantischen Kulturepoche in unserer, der fünften. Diese begann 1413 und endet im Jahre 5573 n.Chr. (siehe Rudolf Steiner, Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit, GA 15).
Die Impulse dieser beiden Epochen sind durchaus polarer Art: verstärkter Materialismus (durch Einbalsamieren, Erdkunde u.a.) einerseits seit ca. 2’900 v.Chr. und verchristlichtes spirituelles Streben andererseits, seit 1413 n.Chr.
Oft treten gerade die materialistischen Impulse in den Spiegelperioden verstärkt auf. So ist etwa der Nationalsozialismus ein zurückgebliebener Impuls aus der dritten Epoche. Menschliche Schicksale sind Träger solcher Impulse.
Präzisieren wir das am Abgrundschicksal Adolf Hitlers. Wir tun das in drei Schritten:
1. Über Hitler offenbarte Rudolf Steiner einmal mündlich: «Hitler habe in einer ägyptischen Inkarnation eine Einweihung gesucht. Diese sei jedoch steckengeblieben, worauf ein ahrimanischer Erzengel die Führung übernommen habe. Die chaotischen Erlebnisse dieser Zeit seien bei der Gasvergiftung am Ende des ersten Weltkriegs wieder hochgekommen. Die deliröse Rettungsmission für das deutsche Volk sei das Resultat gewesen.»1
Der größenwahnsinnige Kern der ägyptischen Initiation wurde bei Hitler im Laufe einer Hypnose, die im Lazarett von Pasewalk 1918 vorgenommen wurde, freigelegt.2
2. Die zweite Quelle für dieses epochenübergreifende Abgrundschicksal ist ein hellsichtiges Erlebnis einer deutschen Frau namens Lo Schoenberner.
Sie war überzeugte Katholikin und sehr beeindruckt vom Erscheinen von Nuntius Eugenio Pacelli in München, dem späteren Papst Pius XII. Sie hatte einen seltsamen Traum:
«Sie saß als Priestermedium in einem ägyptischen Tempel, vor ihr stand ein Feldherr. Der Priester übermittelte ihr in Gedanken, was sie dem Krieger zu sagen hatte, es war ein strenges Urteil. ‹Wieder wurde dir die Gewalt gegeben, die Menschheit zum Glück zu führen – wieder hast du versagt und nur an deine Macht und deinen Ruhm gedacht. Nun bist du gerichtet.›
Der Angeredete fiel zusammen: ‹Ja, so ist es.› Jener Hohepriester aber lebte in unserer Zeit wieder als Eugenio Pacelli – der Feldherr als Adolf Hitler.»3
3. Die dritte Quelle fließt breiter und durch Jahre hindurch. Der Schweizer Artist und Clown «Grock» berichtet in seinen auch in anderer Hinsicht lesenswerten Memoiren Nit M-ö-öglich – Die Memoiren des Königs der Clowns: Hitler kam regelmäßig zu seinen Aufführungen in Deutschland. Manchmal schickte er Goebbels voraus. Einmal sandte er Grock sogar eine signierte Weihnachtskarte, was dem Künstler nicht geringe Kritik einbrachte. Es ist ein Trugschluss, aus Hitlers Bekanntschaft mit Grock Sympathie mit dem Nationalsozialismus abzuleiten. Im Gegenteil: die schauervolle Seite des Nationalsozialismus erlebte Grock in Gestalt des tragischen Schicksals der hübschen Gattin einer der Nazigrößen, Robert Ley, die immer wieder die Gegenwart des Künstlers suchte und sich bei ihm über ihr Leid aussprach.
«Einmal fragte sie mich», schreibt Grock über Frau Ley, «was ich glaube, wie für die Deutschen der Krieg ausgehe. Ich sagte ihr, dass meiner Meinung nach der Krieg für die Deutschen schon verloren sei.
‹Lieber guter Grock›, sagte sie mit zögernder Nachdenklichkeit, ‹und das ist sicher gut so. Denn sehen Sie, wenn wir sagen, dass die Nazis den Krieg verlieren – und davon sprechen wir ja – dann ist es für mich so, dass ihn die deutschen Menschen gewinnen.›
Frau Ley nahm darauf von Grock Abschied. Dabei sagte sie: ‹Ich möchte, dass Sie mir verzeihen. Sie müssen mir verzeihen im Namen von allen Menschen, die ohne Schuld sind.›
‹Aber, mein liebes Kind›, wehrte ich ab, ‹wie können Sie so sprechen? Ihnen ist längst vergeben.›
In derselben Nacht rief sie mich noch einmal an.
‹Ich möchte, dass sie mir Lebewohl sagen›, bat sie leise.
‹Leben Sie wohl!›, sagte ich.
‹Nein –›, bat sie, ‹sagen, Sie doch besser auf Wiedersehen.› Und ich sagte ihr ‹auf Wiedersehen›.
Ganz kurze Zeit danach bekam ich ein Telegramm mit guten Wünschen für ein neues Jahr von ihr. Einige Minuten, nachdem sie dieses Telegramm aufgegeben hatte, erschien sie noch einmal beim Portier, um sich den Abgang bestätigen zu lassen. Als man ihr sagte, dass das Telegramm bestimmt schon abgegangen wäre, habe sie lächelnd mit dem Kopf genickt und sei wieder auf ihr Zimmer gegangen.
Den Schuss hat man im ganzen Haus gehört. Sie hatte sich eine Kugel in den Kopf geschossen und war sofort tot.»
Das ist Grocks menschliches Zentralerlebnis mit den Nazis. Das letzte Wort hieß «auf Wiedersehen». Es taucht das gesamte Geschehen in die Aura der Wiederverkörperung.
Sollte auch Grock wie Frau Ley zu den Zeitgenossen «Hitlers» in der dritten Kulturepoche gehört haben, wie das auch von Eugenio Pacelli gefragt werden darf?
Jedenfalls kommt die weltgeschichtliche Dimension der Zentraltragödie des 20. Jahrhunderts durch diese drei wahren Anekdoten mehr zum Vorschein als durch alle Verurteilungen dieser Welt.
T.H. Meyer
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1 Mitteilung von Paul Gerhard Bellmann an den Verfasser.
2 Siehe den Bericht von Bernhard Horstmann, Hitler in Pasewalk. Die Hypnose und ihre Folgen.
3 Gerda Walther, Zum anderen Ufer, S. 623. Hinweis von Andreas Bracher.