Editorial, News

«Werkzeug von höheren Wesenheiten…»

In dieser relativ schmalen Doppelnummer möchten wir auf eine sehr gewichtige Neuerscheinung aufmerksam machen. Sie wird um Pfingsten erscheinen: Titel «Gott zum Gruß, Uriel»1
Es handelt sich um 10 Protokolle spiritistischer Sitzungen, bei denen Rudolf Steiner zugegen und mittätig war. Das war zwischen 1904 und 1905. Er tat dies auf die Bitte von Eliza von Moltke, die reiche Erfahrungen mit diesen Dingen hatte. Die Sitzungen fanden im Generalstabsgebäude in Berlin statt, wo die Moltkes wohnten.
Der sich Uriel nennende Geist spricht in jeder Séance auch mit Rudolf Steiner, dem er Fragen stellt und der ihm Antworten gibt. Uriel zeigt sich als Mensch, der der Lehrer und Freund Steiners nicht nur war, sondern auch in Gegenwart und Zukunft ist und bleiben wird.
Er spricht mehrfach von der «innigen Verbundenheit» der beiden, die auch von Steiner bejaht wird. Der Ton dieser Gespräche ist nobel, vornehm, nie banal oder verletzend, obwohl auch manches kritische Wort fällt. Etwa zu Charakter und Streben von Marie von Sivers, die ebenfalls an den Séancen teilnahm. Oder zu Steiner selbst, dessen Verständnis der Apokalypse damals noch nicht abgeschlossen war.
Steiner betont in einem Vortrag über Mediumismus, dass bei derartigen Séancen immer ein geschulter Hellseher dabeisein müsse. Eben dies praktizierte er durch seine Teilnahme an den Berliner Séancen! Nach der siebten Sitzung teilt er Eliza von Moltke am 12. August 1904 in einem Brief ein Bekenntnis seiner Geistes- und Strebensart mit, das seinesgleichen sucht.
«Ich bin in solchen Dingen», schreibt er in Bezug auf ein beigelegtes, wohl verloren gegangenes Schriftstück (wohl eine Meditation), «nur Werkzeug von höheren Wesenheiten, die ich in Demut verehre. Nichts ist mein Verdienst, nichts kommt dabei auf mich an. Das Einzige, was ich mir selbst zuzuschreiben habe, das ist, dass ich eine strenge Trainierung durchgemacht habe, die mich vor jeder Phantastik schützt. Dies war für mich Vorschrift. Denn was ich erfahre auf geistigen Gebieten, ist dadurch frei von jeder Einbildung, von jeder Täuschung, von jedem Aberglauben. Doch auch davon spreche ich zu wenigen. Die Leute mögen mich für einen Phantasten halten; ich weiß Wahrheit von Trug zu unterscheiden. Und ich weiß, dass ich den Weg gehen muss, den ich gehe.»
Dieses Bekenntnis erscheint in völlig neuem Licht, wenn man weiß, dass es nach der siebten Séance, also in einem Kontext besonderer spiritueller Erfahrungen, in dem auch Frau von Moltke involviert war, abgelegt wurde.
Dieser Zusammenhang war mir bei der Herausgabe der Post-mortem-Mitteilungen von Helmuth von Moltke im Jahre 1993 nicht bekannt. Er gehört zu den wichtigsten Gründen für die jetzige Herausgabe der Séancen, im Sinne der folgenden Post-mortem-Äußerung Moltkes aus dem Jahre 1918:
«Es kommt nicht bloß darauf an, dass man richtige Gründe für etwas hat, sondern dass man die schwerer wiegenden erkennt.»

T.H. Meyer

 

_______________________________________________________

 1 Herausgegeben von T.H. Meyer und Ruedi Bind.